Der lange Weg zum Medikament

■ Krebs- und Aidskranke versuchten vergeblich, Gesundheitssenator Luther als Bündnispartner für die Zulassung von Cannabis als Medikament zu gewinnen

Ein Joint als Präsent wäre passender gewesen, aber so provokant wollten die fünf Abgesandten der Selbsthilfegruppe „Cannabis als Medizin“ dann doch nicht sein. Statt dessen brachten sie einen unverfänglichen Baumkuchen mit, als sie Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) am Dienstag nachmittag in dessen Büro aufsuchten. Ihr Anliegen: den Senator als Bündnispartner im Kampf um die Zulassung von Haschisch als Medikament zu gewinnen und – bis dies soweit ist – als Schirmherrn für die Einrichtung eines „Gesundheitsraums Cannabis“. In dem Raum, der möglicherweise beim Bezirksamt Tiergarten eingerichtet werden soll, sollen Ärzte chronisch Kranke über die Wirkung und Dosierung von Cannabis beraten.

Die in Deutschland bislang einzigartige Selbsthilfegruppe hat sich Anfang November gegründet und zählt mittlerweile 44 Mitglieder (die taz berichtete). Die meisten leiden an Aids, Krebs, Multipler Sklerose und anderen chronischen Krankheiten und benutzen Cannabis zum Teil schon länger als Therapeutikum gegen Schmerz, Appetitlosigkeit und depressive Verstimmungen. Ihr Ziel ist es, die Zulassung von Cannabis als verschreibungspflichtiges Medikament zu erreichen. Denn in der Bundesrepublik ist das reine Cannabis als Medikament ebenso verboten wie synthetisch hergestellte Cannabispräparate mit dem Hauptwirkstoff Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC). In den USA dagegen ist das künstlich hergestellte Cannabispräparat „Marinol“ schon seit längerer Zeit für Aids- und Krebspatienten zugelassen.

Berlin wird kein Vorreiter werden, solange die Große Koalition regiert, wurde im Gespräch mit Gesundheitsssenator Luther klar. Sein anfängliches Mißtrauen gegenüber den Abgesandten der Selbsthilfegruppe – darunter die an Krebs leidende frühere Tiergartener Gesundheitsstadträtin Sabine Nitz-Spatz – wich im Laufe der Unterhaltung zwar einem gewissen Wohlwollen. Aber von unkonventionellen Wegen hält Senator Luther gar nichts. Bevor das Medikament in Deutschland nicht einer klinischen Prüfung unterzogen und als „verschreibungsfähig“ eingestuft sei, so Luther, werde er sich nicht als Schirmherr für einen Cannabis-Gesundheitsraum hergeben. Er sei aber bereit, „mit daran zu arbeiten“, daß der Zulassungsantrag beschleunigt werde.

Das ist leicht gesagt. Voraussetzung für die Zulassung von Cannabis als Medikament ist, daß die im Betäubungsmittelgesetz derzeit in die Tabu-Kategorie I als nicht verkehrs-, geschweige denn verschreibungsfähige eingestufte weiche Droge in die Kategorie III kommt. Dort sind die verschreibungsfähigen Betäubungsmittel aufgelistet, zu denen Opiate und Barbiturate mit wesentlich höherem Gefahrenpotential gehören.

Bevor der Gesetzgeber tätig werden kann, muß eine sogenannte klinische Prüfung erfolgen. Die Durchführung von Cannabis- Studien hat das Bundesgesundheitsamt vor zwei Jahren zwar ausdrücklich gestattet, aber gemacht hat dies bislang noch keiner.

Das soll sich jetzt ändern. Der am Moabiter Krankenhaus praktizierende Onkologe Robert Gorter hat einen Antrag bei der Bundesopiumstelle eingereicht, an 120 Aids-Patienten die Wirkung von „Marinol“ zu erproben. Das Ergebnis kennt Gorter zwar schon aus einer in Amsterdam und San Francisco durchgeführten Studie: Nach sechs Wochen Cannabis- Konsum waren seine Aids-Patienten im Schnitt 1,9 Kilo schwerer, ihre Stimmung besser, und sie klagten weniger über Nebenwirkungen. Trotzdem muß die Untersuchung in der Bundesrepublik wiederholt werden. Wie viele solcher Studien vor einer Gesetzesänderung nötig sind, wußte der Gesundheitssenator bei dem Gespräch nicht zu sagen. Er verwies aber auf die theoretische Möglichkeit, die Untersuchungsergebnisse anderer Staaten „zu übernehmen“.

„Ich fürchte, das werde ich nicht mehr erleben“, erwiderte der an Krebs leidende Alexander Remmele. Denn noch hat die Bundesopiumstelle nicht einmal über den Antrag auf Durchführung der „Marinol“-Studie von Gorter entschieden. Über die Gründe schwieg sich der Pressesprecher der Bundesopiumstelle, Juri Svoboda, gestern aus: „Wir äußern uns nicht zu einem schwebenden Verfahren.“ Plutonia Plarre