Feldgrau, liebevoll gestückelt

„Ein Mantel führt eine Dame spazieren“. Lisa D. und Next G+U.R.+U Now stellen ihre Avantgarde-Winterkleidung in der Kulturbrauerei vor  ■ Von Petra Brändle

Das Material ist bockig. Das Material ist unschuldig. Und es ist in seiner ursprünglichen Gebrauchsform militant. Häßlich war es, dann geriet es in die Hände einer Modedesignerin. Die Scheren wurden stumpf, die Muskelkraft nahm zu, und das Material begann ein neues, schöneres Leben.

Das ist die Geschichte von 60 österreichischen Bundesheermänteln und davon, wie sie auf dem Laufsteg ein gutes Ende nehmen. Lisa D., umtriebige österreichische Modekünstlerin, jetzt ansässig in den Hackeschen Höfen, hat eine intellektuelle Vorliebe für die Erscheinungsform von Kraft, Gewalt und Aggression, eine Lust daran, sie mit Schönheit zu brechen, und ein ausdauerndes Interesse, geschlechtliche Definitionsversuche zu verstofflichen. Vor einem Jahr hatte sie sich die Nibelungen vorgenommen und zusammen mit der Modistin Fiona Bennett im Spiegelzelt von „Siegfrieds Lust“ erzählt. Nun verführte Kleists Amazone Penthesilea die Modedame, diese wiederum drei weitere ModemacherInnen. Außerdem leistete Friederike Mayröcker Titelbeihilfe, und auch der Wirtschaftssenat ließ sich nicht lumpen.

„Ein Mantel führt eine Dame spazieren“ heißt die Modenschau der besonderen Art auf dem steilen Laufsteg der Kulturbrauerei. Ebenfalls dabei: die Szenehyper Next G+U.R.+U Now sowie die Kostümbildnerinnen und Modedesignerinnen Kerstin Rossbander und Darja Richter.

Diesen künstlerischen Zugriff haben die Militärmäntel natürlich nicht überlebt. Die Uni-Form zerstört. Zerschnitten, zerstückelt, massakriert. Fast ein Vergeltungsschlag. Der extrem starke Double- face-Loden mit roter Spitze, Push-ups und Stockings (Next G+U.R.+U Now) oder dünnstem Seiden-Organza (Kerstin Rossbander) konterkariert. Die Brust bloßgelegt, die Fein- und Schönheit des weiblichen Körpers durch Freizügigkeit gestärkt – ein „weiblicher Überlebenskampf“ (Darja Richter) einerseits, Verweis auf die Prostituierte, wie sie zum Soldatenalltag seit jeher gehört, andererseits.

Doch der eiserne Gestus der Uniformen kennt eine Steigerung: Kerstin Rossbander kombiniert freihängende Stoffbahnen mit kaltsteifen Alustreifen zur Rokoko-Rüstung – ein Widerspruch in sich. Lisa D. hingegen glättet und versteift das Loden mit selbstklebender Folie und zitiert metallischen Glanz mittels Sprühdose herbei. Einen kostümierten Dialog rund um die Kleistsche Amazone liefert sie sich mit Stefanie Harborth. Eine „flotte, feine und schöne Jungfräulichkeit“, ergänzt durch „gierhafte Monstrosität jenseits der Vernunftsgrenze“ bearbeiten die beiden Designerinnen hie mit Ironie und Leichtigkeit, da mit Aggression und Schwere. Ergebnis: ein silbrig glänzender „Mantel“ aus gnadenlos zusammengetackerten Zöpfen.

Nach getaner Arbeit berichten Next G+U.R.+U Now vom „bockigen“ Material, von der „erzkonservativen“ Verarbeitung. Für „G+U.R.+U“ Martin Wuttke ist der graue Filz „tote Masse“, „wertneutral“ – Polizeistoffe und Bundeswehrmaterial hat das G+U.R.+U-Paar schon öfter auseinandergenommen. Für Kerstin Rossbander hingegen war die Bearbeitung ein Kraftakt, jede Faser vollgesogen mit Qual, Frost und Schweiß der österreichischen Heeresdiener. Das wurde erst einmal vollgereinigt, bis die Unschuld duftete.

Trotz der labeltypischen Unterschiede steht die „Irritation der Sinne“ über allem. Das Arbeitsmotto der in Paris arbeitenden Darja Richter trifft das Wesen dieser Show auf allen Ebenen: Wo sonst transportiert bereits die Musik (Klaus Wagner) russische Dramatik, die nach Hollywood klingt? Und wo trudelt der Walzer im Techno-Rhythmus? Wenn es so weitergeht, hat das Märchen von der Modestadt Berlin vielleicht noch ein Happy-End.

Heute und morgen, 20.30 Uhr, Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36–39, Prenzlauer Berg