■ Linsen Soufflé: Die Wachsamkeit der britischen Käseindustrie
Klar, bei uns gibt's auch Kulturkontrolle. „Eine Zensur findet nicht statt“, war von den Vätern des Grundgesetzes einfach nicht so gemeint. Dabei haben wir noch Glück. Unsere „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ ist, was Filme angeht, noch ziemlich harmlos. Die englische Zensurbehörde British Board of Film Classification (BBFC) dagegen ist die strengste in Europa. Das hat Tradition. Schon 1898 erscholl in Großbritannien der erste Ruf nach Zensur – und zwar aus der Käseindustrie. Charles Urban hatte es nämlich gewagt, in einem seiner wissenschaftlichen Filme die Aktivität von Bakterien in einem Stück Stilton zu zeigen. Weit weniger witzig war das, was die Briten mit John Fords Klassiker „Der Verräter“ (1935), der von den Unruhen in Irland handelt und später mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, anstellten. 129 Schnitte wurden vom BBFC angeordnet. Alle Hinweise auf die Black und Tans, die für ihre Brutalität berüchtigte Truppe, die in Nordirland eingesetzt wurde, auf Gewalt, auf die Irische Republik und auf Unterstützung der irischen Sache wurden entfernt. Die Briten bekamen einen ganz anderen, bzw. überhaupt keinen Film zu sehen. So brutal gehen die Zensoren bei Filmen heute nicht mehr vor, trotzdem, streng sind sie immer noch. Besonders bei Videos. So mußte James Cameron die Videofassung seiner „True Lies“ achtmal kürzen, ehe der Film ab 15 Jahren freigegeben wurde. Die meisten Schwierigkeiten bereitet ihnen allerdings Quentin Tarantino mit seinem „Gespür für kriminellen Slang und seiner Begabung für Gewalt“, wie es die britischen Zensoren ausdrücken. Die Kinoversion von „Pulp Fiction“ wurde zwar noch ungeschnitten freigegeben, doch bei der Videofassung mußte (Tarantinos Genehmigung wurde eingeholt) eine Einstellung, in der sich John Travolta einen Schuß setzt, geändert werden. Drei weitere von Tarantino geprägte Filme blieben gar mehrere Monate gesperrt, bevor die 13 Zensoren sie schließlich ab 18 Jahren freigaben. „Reservoir Dogs“ und „Natural Born Killers“ durften ungekürzt Erwachsenen gezeigt werden, bei „True Romance“ mußte jedoch die Szene, in der Patricia Arquette durch ein Duschkabinenglas geprügelt wird, herausgeschnitten werden. Darauf ist das BBFC stolz. Von 373 Spielfilmen, die die Zensoren 1994 „begutachteten“, wurden bei 21 (5,6 Prozent) Schnitte angeordnet. Dem BBFC-Bericht zufolge ist das die niedrigste Quote seit Jahren, weswegen sie gleich einen „Trend zu den allgemein gültigen moralischen Werten“ in den marktregierenden Hollywood-Streifen zu erkennen glauben. Wenn das Bob Dole wüßte! Doch nicht nur Hollywoods Dutzendware bekommt in England ihr Fett weg. „Heavenly Creatures“ z.B. wurde erst ab 18, „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ erst ab 15 freigegeben. Man möchte den Briten raten, einmal nach Irland zu schauen. Dort haben sie zwar auch berüchtigte Zensoren (die ganz scharf auf Sexszenen sind), die allerdings mit viel Phantasie an die Sache herangehen. So wunderte sich der Ire, daß 1963 Roman Polanskis „Das Messer im Wasser“, ein Film mit starken homosexuellen Untertönen, unbeanstandet durchging. Begründung der Zensoren: Homosexualität ist in Irland unbekannt, und den Iren kann nicht schaden, was sie ohnehin nicht verstehen. Karl Wegmann
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