Der homosexuelle Mann ... Von Elmar Kraushaar

... ist auf dem besten Weg ins Paradies: ein gediegenes Ghetto, ganz reinlich und allerliebst möbliert. Wenn er hierzulande so weitermacht wie bisher, mit viel Bürgerbewegungsgerede, ordentlich „Bitte, bitte“-Machen für ein bißchen Heirat und ganz brav die Hände auf der Decke, dann hat er's bald geschafft, und wir leben in skandinavischen Zuständen.

Denn der hohe Norden macht es vor, wie zivilisierte Gesellschaften den unbehauenen Trieb in eine zeitgemäße Fassung bringen. Da dürfen die Jungs die Jungs ehelichen und die Mädels die Mädels, die Integration läuft auf vollen Touren, und halb Skandinavien klopft sich ständig auf die Schultern für soviel Toleranz.

Beispielsweise in Schwedens Hauptstadt Stockholm. Da heißt das Schwulenzentrum „Hus“, liegt fast mitten in der City an einer belebten Einkaufsstraße und sieht aus wie das Berliner Ku'damm- Karree, nur ein paar Nummern kleiner. Das hat die Stadt der freundlichen Minderheit überlassen und läßt es professionell bewirten vom Keller bis unter das blitzblanke Glaskuppeldach. Zwischendrin ist alles aufgehoben, was zu einer gelungenen Freizeit gehört: ein Restaurant, ein Café, eine Bar, eine Diskothek, ein Buchladen, ein paar Veranstaltungsräume.

Und ganz hinten, bei den Klos, da hängt eine Pinnwand mit all den Mitteilungen für die gesellschaftliche Arbeit: Die Gruppe „Alte Schwule“ trifft sich dann und dann, die Resolution für das Adoptionsrecht muß noch unterschrieben werden, ein Date für Jungschwule, ganz exklusiv.

Dort verbringen dann gepflegte Homosexuelle ihre Zeit mit seriöser Unterhaltung, lustigen Tänzen und engagierten Diskussionen. Und abends, kurz nach zehn, wenn in der Kneipe der Roulettetisch aufgebaut wird, ist der Höhepunkt des verruchten Amüsements erreicht. Eine Stadt, die ihren gleichgeschlechtlichen Mitbürgern soviel zu bieten hat, kann auf alles andere verzichten. Schwule Saunen sind verboten, die darkrooms alle längst geschlossen, und ein, zwei Pornokinos bieten einschlägige Liebesfilme bei voller Beleuchtung. Da ist kein Platz mehr für die dunklen Seiten der hellen Momente, Freiheit hat hier einen neuen Namen.

Selbst auf die Ledermänner, in der übrigen Welt noch immer Garant für den Spaß in Fesseln und das Grauen en suite, ist hier kein Verlaß mehr. Ein Club wird ihnen noch zugestanden, in einer dunklen Seitenstraße gelegen und nur mit kundigem Führer zu erreichen. Aber drinnen herrscht Disziplin nach Kleinbürgerart. Stoffhosen sind nicht erlaubt, keine Tennisschuhe und keine „lebenslustigen“ Farben.

Und verstößt ein Gast mal gegen die Kleiderordnung, so muß er die Hose an der Garderobe abgeben oder sein sportives Schuhwerk gegen ein paar schwarze Gummistiefel eintauschen. Dafür ist das Interieur akkurat pervers, mit Ketten und Peitschen und Gittern und Sling, ganz wie aus dem Versandhaus. Und in der Ecke kniet vor einem Podest der shoeshine boy ganz in schwarzem Leder und wartet darauf, den Macho-Darstellern die Schuhe zu polieren. Der Mann ist Spezialist für dienende Fürsorge: Am Tag umsorgt er die Schäfchen seiner Gemeinde direkt neben dem königlichen Schloß als Pfarrer im schwarzen Talar.