Spiel nicht mit meiner Liebe

Hal Hartleys Film „Flirt“ ist ein strenges, aber auch sentimentales Stationendrama für Wankelmütige  ■ Von Anke Westphal

Gewöhnlich muntert es einen nicht besonders auf, wenn ein Film mit dem Satz beginnt „Ich fühle mich widerlich.“ Auch dann nicht, wenn sich dabei eine rasend schöne Frau auf weißem Leinen räkelt. Andererseits können die Großstadtneurosen (sehr) später Twens durchaus ein positives Stimulans fürs Gemüt abgeben – wenn nämlich Hal Hartley draufhält. Hartley reüssiert seit Jahren als Regisseur, der wie kein anderer (Alan Rudolph ausgenommen) gehemmter Begierde und gestaltloser Sehnsucht einen gewissen Glamour zu verleihen imstande ist. Wäre doch auf alle Menschen so Verlaß wie auf den Amerikaner Hartley. Nie wird unsereins von seinen Filmen so richtig enttäuscht, und das muß wohl daran liegen, daß wir uns, so sehr wir es auch versuchen, genausowenig ändern wie Hartley, der seinem formalistischen Stil treu bleibt.

Hartley weiß, daß er sein Publikum nicht ärgern darf. In seinem letzten Film, „Amateur“ (1994), hatte er sein übliches Neurosen- Ballett versuchsweise durch ein gewagtes Maß an Action beschleunigt. In „Flirt“ hat er sich nun wieder rückbesonnen und einen strengen und grotesken, aber auch sentimentalen Liebesreigen inszeniert, welcher sich vornehmlich durch den Widerwillen der Protagonisten gegen voreiliges Handeln auszeichnet. Ach, was heißt hier voreiliges Handeln – gegen das Handeln überhaupt.

Nun schrieb das US-amerikanische Journal Glamour (ein ultrafeministisches Magazin, das sich nicht scheut, „best working hair conditioners“ zu empfehlen), daß ein guter Flirt sogar Quasimodo dazu verhelfen würde, sich wie eine prima Partie zu fühlen. Hal Hartley jedoch meint in „Flirt“ weniger jenes platonische Spiel mit Vibriereffekt, sondern eine spezielle Existenzweise seiner Hauptfiguren. „Flirt ist das Dasein in der Zweideutigkeit“, so definiert es einer der Bauarbeiter, die das Filmgeschehen während der Berlin- Szenen wie ein griechischer Chor kommentieren. Der weihevolle Proletenkult des Regisseurs ist natürlich in erster Linie ein dekoratives Element, aber so wenig überflüssig wie hochgradig lustig.

Hartley spielt den Schwebezustand „Flirt“ anhand eines Stationendramas durch: „Die Dynamik ein und derselben Situation in verschiedenen Milieus“, sprich New York – Berlin – Tokio.

Das Ausgangs- und Grundmodell sieht folgendermaßen aus: In New York muß sich der gutmütige Bill entscheiden, ob er Emily, die ihr Schneewittchenhaar zu Beginn des Films auf das Linnen fließen ließ, nun endlich zu heiraten gedenkt oder nicht. Bill bittet sich neunzig Minuten Bedenkzeit aus, um Margaret anzurufen. Als er mit ihr flirtet, verstört er jedoch ihren Ehemann Walter. Dieser ist ein Mensch mit feingestrickter Seele, was niemand besser spielen kann als Martin Donovan (bekannt, wie könnte es anders sein, aus Hal- Hartley-Filmen). Walter setzt die Pistole an seine Schläfe. Bill verletzt sich beim Versuch, ihn am Sterben zu hindern. Er kommt ins Krankenhaus, und später fliegt er Emily nach Paris hinterher.

Hartleys Universalsituation setzt sich aus Ultimatum, Verlassen, Schwärmen, kathartischer Katastrophe plus der durch sie bewirkten Entscheidung zusammen und wird zweimal wiederholt – eine Technik der Formalisierung, die Jim Jarmusch ja auch schon in „Night on Earth“ durchexerziert hat.

Auch in Berlin und Tokio folgt auf das Ultimatum ein Telefongespräch und dann der Schuß. Anschließend werden Schmerzmittel in die Wunde gespritzt, und wenn sich der „Flirter“ nach der Entlassung aus dem Krankenhaus endlich über seine Gefühle im klaren ist, kommt es einem vor, als hätte die Kanüle nicht der Fleischwunde gegolten, sondern ein von allzu vielen Möglichkeiten verstopftes Gehirn geöffnet.

Denn das Herz – ach, das Herz wird weiter ein einsamer Jäger bleiben. „Flirt“ als Metapher und Krankheit als Weg zur Entscheidung. Hal Hartleys Figuren sind mit einer fast Oblomowschen Antriebsarmut geschlagen. Wie in Trance arbeiten sie sich an übermächtigen Fragen ab, die ihnen ihr kleines Leben eigentlich gar nicht aufdrängt. Aber das kleine Leben ist ja auch nicht gerade vornehmstes Anliegen von Filmen, die eine These illustrieren. Die, wie Hartley es nennt, „Umarmung der Realität“ ist ein viel zu weit spannender Rahmen, in dem Bill und Emily, Werner und Dwight, Miho und Ozu ihr höchsteigenes, fast autistisches Mikrobeziehungstheater aufführen. Und deshalb muß alles eine nicht nur höhere, sondern erhabene Bedeutung haben, sei es nun ein Berühren fremder Hände in einer Telefonzelle, sei es, daß eine Frau am Telefon nichts als „No“ sagt, und das so lange, wie man für einen Quarter, dreißig Pfennige oder 500 Yen telefonieren kann. Die Bedeutung und nicht der Akt setzt das Dominoprinzip in Gang.

Cafés, Toiletten, Telefone, schäbige Zimmer und immer wieder die Notaufnahme eines Krankenhauses. Zwei reden, eine/r hört mit und ist vielleicht der nächste in diesem Reigen aus sanft mißlingenden Selbstinszenierungen: Die im New Yorker Café tanzende Frau stolpert. Die Frau vor der Telefonzelle in Berlin (Maria Schrader sprödest!) rührt durch eine Garderobe, wie sie am Kottbuser Tor noch nie gesehen wurde – roter Plastemini, rote Overknees – zu Mitleidstränen.

Hal Hartleys Figuren sind sämtlich „young, middle class, college educated, white, unskilled, broken drunk“, und auch Elina Lowensohn, wie Martin Donovan bekannt aus Hartley-Filmen, reanimiert diesen Hartley-Entwurf. Lowensohn spielt eine Berliner Krankenschwester. Dwight wird ihr Patient sein. Dwight, schwarz und schwul, scheint Bill auf einer New Yorker Herrentoilette eben noch Ratschläge zur Bewältigung von Verlustangst erteilt zu haben. Jetzt soll er in Berlin zwischen einem alternden Kunsthändler und einem Maler wählen. Daß die Ähnlichkeit zwischen Dwight und dem New Yorker Schwarzen, dem Maler und dem Kunsthändler täuscht, ist beabsichtigt, alles eine universelle Kiste. Aber dann doch wieder nicht, denn der Wechsel der Geschlechter (Mann-Frau, Mann- Mann, Frau-Frau etc.) und der Städte, wird beliebig konnotiert.

In den Tokio-Szenen treibt Hartley die Strenge der Abstraktion dann auf die Spitze. Es wird kaum gesprochen, dafür aber getanzt. Die Protagonisten sind in Plastefolien gewickelt, kalkweiß geschminkt oder tragen traditionelle japanische No-Masken. Der kommentierende „Chor“ besteht aus drei Frauen, die in Untersuchungshaft sitzen. Verglichen mit den Tokiotern sind die Berliner extrovertiert und geschwätzig. Hartleys Tokio ist ein Chaos ohne jede Struktur, sein Berlin ein Kreuzberg 36, das nicht von dieser Welt zu sein scheint, so überirdisch klar und verblichen ist es, ohne pittoresk zu wirken.

Nicht nur, daß das Hartleysche Neurosenballett in allen seinen Kurz- oder Spielfilmen wiederkehrt, egal ob sie nun „The Unbelievable Truth“, „Trust“, „Simple Man“, „Animateur“ oder „Flirt“ heißen. Die Angelegenheit kommt einem auch farblich immer perfekter vor. Hartleys Staatsfarben sind Blau-Rot-Silber, hier eine königsblaue Wand, vor der ein roter Ranzen auf eine silberfarbene Jacke getupft wird wie ein Klecks Blut. Dort ein manieristisches Leuchten, wie von George de La Tour. Alle Hartley-Liebhaber wissen, daß unser Mann aus Long Island die Kunst der Malerei in New York studiert hat, was seinen bewegten Bildern zum Vorteil gereicht. Denn bewegte Bilder sind es immer, wenn die Aktion in Trance erstarrt, und das eben dreimal: New York, Berlin, Tokio.

Während der Vorbereitungen zu „Amateur“ drehte Hal Hartley die New-York-Episode von „Flirt“ nebenbei, „um mich zu beschäftigen und die Sorgen zu vertreiben“. Wie hübsch sich doch alles fügt! „Flirt“ handelt von zufallsbedingter Wirklichkeit. „Der Regisseur muß scheitern“, prophezeit einer der supervidierenden Berliner Bauarbeiter. Thank God – seine Prophezeiung erweist sich als falsch.

„Flirt“ von Hal Hartley. Mit: Bill Sage, Martin Donovan, Elina Lowensohn, Maria Schrader u.a. USA 1995, 85 Min.