Antifaschistische Harke

■ betr.: „Die Grünen zwischen Krieg und Frieden“, „Peacekeeping – was ist das, was soll das?“, taz vom 1. 12. 95

Sehr geehrter Herr Fischer,

im Rahmen der Berichterstattung über den Parteitag von Bündnis 90/ Die Grünen hat mich Ihr sehr persönliches Statement zutiefst beeindruckt. Wie Sie da der Generation Ihrer Eltern und Lehrer demonstriert haben, was eine antifaschistische Harke ist – einfach fabelhaft! Als aufrechter Linker allein gegen die erdrückende Phalanx der Milošević- und Karadžić-Kumpane in CDU/CSU und FDP, unbeeindruckt von Volkes Stimme an den Stammtischen und von all jenen Biedermännern und Brandstiftern, die mit terroristischer Gewalt die Vollendung der Multikulturalität unseres Staates durch die sofortige Vereinigung mit Serbien erzwingen wollen, kein bißchen eingeschüchtert von den Schergen des BKA, die allen FreundInnen von Tudjman, Kroatien und der bosnisch-kroatischen Föderation im Nacken sitzen – welch ein wahrhaft revolutionäres Bild!

Und wie Sie es diesen unzähligen PazifistInnen gezeigt haben, die für ihren Einsatz für offene Grenzen und internationale Solidarität mit Flüchtlingen und sogar Deserteuren (!) permanent mit Orden und Karriereangeboten überschüttet werden – Wahnsinn! Es war wirklich höchste Zeit, daß jemand diesen lobeshymnegeilen Drückebergern und Pißpottschwenkern ins Stammbuch schreibt, daß mit ihnen kein linker Staat zu machen ist. Die Segnungen unseres Gemeinwesens verdient schließlich nur jenes Fußvolk, das in der Stunde der Not den Griff zur Panzerfaust und den beherzten Tritt auf die feindliche Landmine nicht scheut.

Herr Fischer, Sie und ich wissen: Es gibt keinen dauerhaften Frieden ohne Gerechtigkeit. Also gilt es, gegen die von den Medien unterstützte Übermacht der Jugoslawienfans und Serbenfreunde die totgeschwiegene, ja sogar geächtete Wahrheit der um ihren Sieg betrogenen KroatInnen lauthals zu verkünden: Das Abkommen von Dayton kann nur der erste Schritt sein. Denn ein schändlicher Friedensplan, der die wahrhaft Friedenswilligen zur Rückgabe und deshalb Brandschatzung von ganzen Dörfern zwingt, bringt keinen wahren Frieden. Das entrechtete, perfide um sein unter hohem Blutzoll erworbenes Territorium geprellte kroatische Volk wird auf Dauer nicht schweigen, es wird aufstehen gegen die Hegemonie der Serbenfreunde. In der Not verlassen selbst vom „enttäuscht“ mäkelnden Kumpel Schwarz-Schilling, setzen die Verfechter der territorial abgerundeten kroatisch- bosnischen EU-Zukunft nun ganz auf Sie, Herr Fischer. Bei Marx, Mao und Ho-Ho-Ho Chi Minh – halten Sie durch! Die Völker des Balkans, ja der ganzen Welt harren darauf, von Ihnen befriedet zu werden.

Zum Schluß ein ganz persönlicher Dank: Sie, Herr Fischer, haben mir die Augen geöffnet über das heutige Deutschland mit seiner demokratischen Streitkultur im Verhältnis zu dem aus den Erzählungen meiner Großmutter. Danke! Aber überschätzen Sie den deutschen Friedenswillen nicht und hüten Sie sich vor den wankelmütigen Spezialdemokraten, die schon mehrmals im entscheidenden letzten Moment vor dem ultimativ-friedensnotwendigen Blutzoll gekniffen haben! Möge Ihr linkes Gewissen Ihnen die Kraft geben, solchen kompromißlerischen Verrat in Würde zu ertragen und allen Feinden der ultimativen Pax Germanica Fischerensis zu trotzen.

Immer gegen den Strom, Herr Fischer, immer wieder! So hat es uns doch die Frankfurter Schule eingebleut: Ohne Widerspruch keine Zivilisation, kein zivilisiertes Deutschland! Sie und ich werden diese demokratische Lehre aus der deutschen Geschichte gewiß nie vergessen, Herr Fischer. Davon bin ich seit gestern endgültig und felsenfest überzeugt. Janine Millington-Herrmann,

Karlsruhe

Was bewog eigentlich Fischer zu seiner außenpolitischen Kehrtwende?

1. Nachdem er noch Anfang 1993 seinem Pro-militärische-Intervention-in-Bosnien geifernden Freund Cohn-Bendit tapfer widerstanden hatte (anläßlich der 25-Jahr-Feier der 68er Bewegung in Frankfurt), fiel er im Sommer 94 um. Dem Spiegel vertraute er sein neues politisches Gewissen an und empfahl sich kokett Herrn Kohl für 1998. Denn Scharping verschwand wie die Katze in Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“.

2. Hat Fischer eigentlich bis heute nicht die Triebfeder seines Freundes erkannt? Gerade die Deutschen sollen gerade im ehemaligen Jugoslawien militärisch einmarschieren. „So wie Amerika 1945 Deutschland befreit hat, muß Deutschland heute die ethnischen Minderheiten in Bosnien befreien, sonst haben wir ein zweites Palästinenser-Problem!“ wetterte Cohn- Bendit im Juni 1993 im Palais Jalta in Frankfurt. Das klang unmittelbar überzeugend. Aber befreit hat Amerika nicht die Opfer, sondern die Täter. Daher ist es der Deutschen zwingende moralische Pflicht, sich in militärische Risiken hineinzubegeben.

Dayton war doch wenigstens ein Schritt. Warum müssen wir jetzt Clinton übertreffen? (Herr Schily!)

Wo ist die politische Forderung zu hören, Palästina aufzubauen? Das Verbrechen an den Juden kann auch durch militärische Intervention in Ex-Jugoslawien nicht gesühnt werden! (Cohn-Bendit!) Wo warst Du eigentlich, als 1991 Hunderte von Menschen aus den jugoslawischen Kriegsgebieten in der VHS in Frankfurt Deiner Einladung gefolgt und kalt enttäuscht worden waren? (Das nur nebenbei). Dagmar König, Frankfurt/Main

Nur weil wir B'90/Grüne anders sein wollen, lassen wir die Menschen in Jugoslawien/Bosnien in ihrer Scheiße sitzen. Denken mit Phrasen dreschen hätten wir ihnen gegenüber unsere Schuldigkeit getan. Viel zu oft – meistens – haben wir uns an unseren eigenen linken Phrasen berauscht. Wir haben die Pflicht, Übeltäter jeglicher Couleur etwas auf die Mütze zu geben, auch wenn diese eventuell nahe Glaubensbrüder sind.

Wir wollen an die Regierung?! Nur mit Geschwätz und grundsätzlichem Dagegensein können wir ein Volk nicht führen. Wie war ich begeistert früher. Wie bin ich jetzt ernüchtert. [...] H.-J. Schwarz, Berlin