Die Herrenrunde

■ Seit 12 Jahren treffen sich beim DRK in der Mathildenstraße Herren ab 60. Die letzten vier Mitglieder sind zusammen 309 Jahre alt.

Donnerstag morgen, 10 Uhr, ein kleines Besprechungszimmer vom Deutschen Roten Kreuz in der Mathildenstraße, Wein steht auf dem Tisch. Ein Spätburgunder Weißherbst, Jahrgang '93. Vier Gläser, Kartoffelchips, Studentenfutter. Vier Herren erheben das Glas. „Beim letzten Mal haben wir darüber gesprochen, daß es wenig Positives in der Zeitung zu lesen gibt,“ sagt Herr Hamann, „nur: was ist in unserem Leben positiv? Heinz! Der Krieg war negativ. Aber auch dort gab es Positives. Wer von Euch hat eine Weihnachtsfeier draußen erlebt?“

Heinz Frese erzählt. Vom Unteroffizierslehrgang in der Ukraine. Nikolajew hieß der Ort, sie wohnten in einem ehemaligen Nachtclub. Ein Verwandter hatte Gänse und Fett besorgt. Einen Christbaum hatten sie sich aus Besenstielen und Buchsbaumzweigen gezimmert. Es gab da ja keine Tannen. Das Stanniol aus den Zigarettenpäckchen diente als Lametta. Die Feier war üppiger als je zu Hause. Herr Hamann dagegen erinnert sich eher an einen selbstgebauten Bunker, da waren sie schon froh, daß der Russe nicht schoß an Heiligabend.

„Neulich bei Saturn habe ich Horst getroffen,“ erzählt Herr Frese. Horst gehört der Herrenrunde, die sich seit 12 Jahren beim DRK trifft, nicht mehr an. Auch Willi schied aus, er hat es mit dem Rücken, „dabei ist der noch so jung, gerade Anfang 70.“ Herr B. hat was Psychosomatisches. Herr L. war zum Schluß nicht mehr ganz zurechnungsfähig. Und U-Boot-Weber ist ganz plötzlich gestorben. „Warum kriegen wir keinen neuen Zugang?“ fragt Herr Hamann in die Runde.

Er zieht einen Zettel aus der Tasche und liest was Lustiges vor. Herr Hamann ist offensichtlich der Moderator der Herrenrunde. Er trägt einen Text vor, der auf heitere Weise von der Vergeßlichkeit im Alter handelt. Hab' ich die Tabletten schon eingenommen? Hab' ich die Tür abgeschlossem? Hab' ich das Gas abgedreht? Herr Frese ist 87 Jahre alt und nickt. Herr Berg ist mit 65 der Benjamin und nickt auch. „Wenn ich da saß in der Lokleitung und mir die Namen nicht gleich notiert habe ...“ Herrn Freses Großvater dagegen: hatte im hohen Alter noch jede Einzelheit aus dem Krieg 70/71 gewußt. 1870/71 natürlich.

„Habt Ihr das auch gelesen ...?“ Immer wenn das Gespräch ins Stocken gerät, zieht Herr Hamann ein Thema aus dem Ärmel. Das schlechte Image der Uni Bremen zum Beispiel. „Das erinnert mich an ...“ An eine Geschichte zum Thema Vorurteile. Wie er mal Vorurteile gegenüber einer geschiedenen Mitarbeiterin hatte, die sich dann als Perle herausstellte.

Herr Berg legt plötzlich einen Kalender auf den Tisch, und alle ziehen vier Mark aus der Tasche. Das Geld wird auf jeder Sitzung gesammelt, damit machen sie Ausflüge. Dieses Jahr geht's nach Thüringen. Zusammen mit den Frauen. Herr Frese hat früher sogar vier Kassen parallel betreut: die von der Marinekameradschaft, welche aber jetzt aufgehoben ist, weil so viele Kameraden gestorben sind; die vom Pensionärstreffen; die vom Klassentreffen, da kommen noch immer 19 Schulkameraden hin; und die Kasse vom Gesangsverein, wo er 64 Jahre aktiv war. Heute hat er reduziert.

Der Tod ist in dieser Runde ein latent anwesender Geselle. Eine 87-jährige Bekannte hat sich neulich aufgehängt. „Alt und einsam und dann noch krank – das kommt zu solchen Kurzschlußhandlungen.“ Herr Berg versteht das trotz seines vergleichsweise jugendlichen Alters. „Aber deswegen unternehmen wir ja so viel.“

Burkhard Straßmann

So etwa drei neue Mitglieder könnte die Herrenrunde durchaus noch gebrauchen. Telefonischer Kontakt über Herrn Hamann, Nr. 344113.