Unruhe auf dem stillen Örtchen

■ Der Clou mit dem Klo: „Life's No Picnic“ bespielt die sanitären Anlagen der Bremer Szenekneipen / Im „Eisen“: keine nachlassende Spielfreude durch Klogeruch

Wenn Bands erst mal groß rausgekommen sind, prahlen sie gerne damit, wie klein sie vor dem Durchbruch waren: „Also, als wir angefangen haben, da mußten wir Tag für Tag in den engsten Szene-Spelunken spielen!“ „Och, das ist doch noch gar nichts“, kann man darauf kontern. „Wir mußten damals auf den Klos der engsten Szene-Spelunken spielen!“

Was sich hier wie haltlose Übertreibung anhören mag, werden sich die Bremer „Life's No Picnic“ dereinst tatsächlich aufs Banner oder zumindest ins Presseinfo schreiben können. Jede fix gegründete Band spielt in Kneipen, und eigentlich interessiert das keinen, dachte sich das Quintett aus dem Lagerhaus-Umfeld wohl und versucht seit Mittwoch, Aufmerksamkeit zu erlangen, indem es durch die Toiletten der Bremer Szenelokale tourt. Die T-Shirts zur „Toiletten-Tour '95“ haben die Musiker bereits samt Verkaufsstand dabei, damit Fans später mit Fug und Recht behaupten können, sie wären von Anfang an dabei gewesen.

Groß angekündigt sind die Auftritte derweil nicht, was sich zur Premiere in der Sielwall-Kneipe „Eisen“ als klug erwies. Wo hätten sich Publikumsmassen auch aufhalten sollen? In den Klos selbst wäre das Musizieren schwierig gewesen: Nicht nur sind die Räumlichkeiten schon überfüllt, wenn sich dort fünf Leute ohne Musikinstrumente und Verstärker aufhalten, auch wäre der Hörgenuß allzu sehr ins Geschlechtsspezifische ausgeartet. Schließlich hätte es doch komisch ausgesehen, wenn die reine Männercombo auch das Damenklo beschallt hätte. So begnügte man sich damit, im knapp bemessenen Raum zwischen dem Absatz der Kellertreppe und den dort gelegenen Örtlichkeiten aufzuspielen. Angetan hatten sich „Life's No Picnic“ stilecht mit weißen Sanitär-Personal-Kitteln, was aber nur wenige sehen konnten. Platz zum Zuschauen war nur auf der Treppe, was ungefähr vier Sitzplätze und eine ähnliche Anzahl Stehplätze bedeutete. Wer nicht sofort von der Musik in den Bann gezogen wurde, verzog sich schnell wieder in den Kneipenbetrieb. Das waren zunächst einige, denn den scheppernden Anfang der Darbietung wußten wenige zu würdigen. Außerdem wurden einige Feingeister durch ihre Wahrnehmungsorgane abgeschreckt: „Da gehe ich nicht hin! Das stinkt da so!“

Wer dablieb, erlebte allerdings bald eine versierte, relaxte Funk-Band, die das bot, was im „Eisen“ sonst eher selten zu hören ist: gute Barmusik. Der selbstverständlich geringe Aktionsradius der Musiker machte es nicht zwingend notwendig, sich ständig auf der Treppe den Hals zu verrenken, um einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Man konnte sich ebenso gut einen lauschigen Platz suchen und das Dargebotene als Hintergrundmusik goutieren. Das war sogar leiser und somit kneipenangemessener als die Grunge-Konserven, die sich dort sonst bemühen, die Konversation zu erschweren. Der Zwischenruf „Jetzt hört doch mal auf mit der Scheiße!“ während des zweiten und rockigeren Sets war von daher nicht nur unfair, er blieb auch ein Einzelfall. Die restlichen Publikumsreaktionen begrenzten sich auf den begeisterten Applaus der TreppensitzerInnen .

Viele der anderen waren sich gar nicht bewußt, daß da eine Band Live-Musik machte, was natürlich einiges über die Professionalität und die Qualität des Sounds, den „Life's No Picnic“ nach anfänglichen Schwierigkeiten bravourös meisterten, aussagt. Anderen allerdings wurde der Auftritt zur bösen Überraschung: Es wurde von einem nichts ahnenden Herren berichtet, der sich vor dem Auftritt in aller Seelenruhe aufs stille Örtchen begeben hatte und sich dann nicht mehr heraustraute, als vor der Tür das Tohuwabohu losging.

Andreas Neuenkirchen