Mäandernde Fusseltrassen

Der ideale Ort ist ein Zimmer, eingeschlossen in eine Welt ohne Standpunkt: 17 nomadisierende KünstlerInnen machen das Künstlerhaus Bethanien zu ihrer „Station Deutschland“  ■ Von Gudrun Holz

Den provokantesten und plakativsten Zugang wählte Yuan Shun, der China nach dem Massaker am Tiananmen verließ und seitdem größtenteils in Deutschland lebt und arbeitet. Sein Selbstbildnis mit dem Titel „Deutsche Fahne“ assimiliert symbolisch das fotografische Portrait des eigenen Gesichts mit dem deutschen Banner: rot das Stirnband, schwarz der hervorlugende Haarschopf, auf dem Stirnband das chinesische Schriftzeichen für „Selbst“ in Gold, die Augen geschlossen hinter Nickelbrillen-Gläsern.

Yuan Shun ist einer von siebzehn KünstlerInnen aus insgesamt dreizehn Ländern, deren lokaler bzw. inhaltlicher Arbeitsschwerpunkt – laut Ausstellungstitel – „Station Deutschland“ ist. Shuns Portrait in einem Lichtkasten ist zentrales Objekt der Präsentation im „dreischiffigen“ Studio I des Künstlerhauses Bethanien. Dahinter, auf dem chorähnlichen Halbrund des Raumes, ebenfalls eine Arbeit von Yuan Shun: „Denkmal der Stadt“. Mit Doppelklebeband wurde hier als Wandbild der Straßenlauf Berlins angebracht: mäandernde Fusseltrassen. Am Teppichband klebt feinsäuberlich aufgebracht als Strichmuster Haupthaar des Künstlers. Für den ehemaligen Militär-Maler ist „Haar Symbol der Persönlichkeit. In der Armee wurde alles unter Kontrolle gestellt.“ „Being a stranger and seeing people strangely“, betitelt Ausstellungs-Koordinator David Maas die kreative Position des ausländischen Künstlers im fremden Land. Daß der Ausstellungsrahmen dabei auch Ausnahmen wie den im französischen Nantes installierten Pierrick Sorin duldet, belegt dessen „neue videografische Arbeit“, ein vorsätzlich als work-in-progress deklarierter Trailer. Hier ist es die mittels süffisantem Humor und ironischer Verweigerung erzielte Distanz zur eigenen Kunstproduktion, die mit dem Konzept der Schau korrespondiert.

In elliptischer Schnittfolge rollt sich ein aus der Kinowerbung bestens bekanntes Werbeverfahren ab: Artwork als Kurzclip. Auch bei der Künstlerin Rivka Rinn liegt der künstlerische Clou im Detail. Kennen Sie beispielsweise Ida Ten Eyck, die Mutter von Georgia Toto O'Keefe? Beides garantiert Verwandte der Künstlerin, die es – Kunst sei Dank – fertigbrachte, gleichzeitig in Wisconsin und Nepal als Tochter polnisch-russischer Eltern zur Welt zu kommen. Die illustren Daten sind dabei so zahlreich und amüsant wie Karaoke: Fake is fun, is fine art, is name- dropping. Auf zwei Transparenz suggerierenden Plexiglas-Tafeln präsentiert Rivka Rinn zwei gleichermaßen eindrucksvolle Lebensläufe, die alle Fragen, das kryptische ×uvre betreffend, von selbst beantwortet. Leben und Kunst, endlich eins. Die Kunstkritik dankt. Mutig ist deshalb im Katalog auch eine „echt-Rinnsche“ Vita verzeichnet. Das nenn' ich konsequent.

Seltsame Miniaturbehausungen sind die Spezialität des Briten Gary Perkins. Mit „The Duchess and the Millionaire“ liefert er Puppenstuben wie aus dem Nähkästchen der Yellow press gegriffen. Ist es ein Verbrechen aus Leidenschaft, das sich in den zwei Zimmerchen abgespielt hat? Warum sind die Dielen aufgebrochen, wozu die Videoüberwachung? Mittels Monitor ist das Interieur präzise ableuchtbar, die Intimsphäre geht gegen null – für Perkins ein Negativbild. „Mein idealer Ort wäre ein Zimmer, eingeschlossen in eine Welt ohne Standpunkt. Ein Territorium, in dem ich mich endlich geortet fühle.“

Daniela Comanis Video-Installation mit vier Monitoren thematisiert ein ähnliches Dilemma. Was ist persönlich, was ist fremd, wenn vier Personen synchron vier klassisch-literarische Texte verlesen, in einer Sprache, die sie nicht verstehen? Das Ergebnis ist bestenfalls babylonisch. Fotografische Clons sind ihre Collagen mit dem Titel „Fiktionen“. Schwarzweiß fotografierte Innen- und Außenräume, Highways und japanische Gebirgsformationen – Studienorte der Künstlerin – sind zu erfundenen Landschaften montiert worden, die sich einem Ideal am Reißbrett zu nähern scheinen: Unverwandtes wird per Kunst zu einem Wunschort. Abschließend dazu noch einmal Yuan Shun: „Ich habe Berlin als Stadt ausgewählt, wie ich es mir ausgesucht habe, hier zu leben. Wie dieser amerikanische Typ sagte: Ich bin ein Berliner.“

Bis 14.1. im Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2.