Kalte Fernsehkrieger

■ Läßt der Rundfunkrat des NDR eine kritische TV-Reihe zur deutsch-deutschen Geschichte im Archiv verschwinden?

Es war einmal ein Journalist. Der hatte die Idee für eine fünfteilige Sendereihe über die deutsch- deutsche Geschichte. Der Mann bot das Exposé dem NDR an, der Sender genehmigte es, stellte Geld und Technik bereit und kümmerte sich um alles Weitere herzlich wenig. Der Journalist recherchierte ein Jahr lang und fertigte sein Fernsehstück. Dann wurden die fünf Teile im Nachmittagsprogramm gezeigt (das Medienecho fiel bescheiden aus). Sie wurden wiederholt und noch einmal wiederholt – bis schließlich ein Mitglied des Rundfunkrates Beschwerde einlegte.

„Wiederbegegnung mit uns selbst. Deutsch-deutsche Legenden“ hieß die Essay-Reihe von Bernd C. Hesslein, die zum ersten Mal im September 1994 auf NDR 3 ausgestrahlt wurde. Der Autor hatte Wochenschau- und TV-Material aus DDR- und BRD- Archiven zusammengeschnitten. In didaktisch kurz gehaltenen Folgen von 30 Minuten entstand ein Rückblick auf die deutsch-deutsche Vergangenheit, der das Prädikat „kritisch“ verdient.

In seinem knappen Text zu den Bildmontagen argumentierte Hesslein gegen die herrschende Meinung, wir Deutschen hätten die Teilung nur erlitten. Vor allem in der zweiten Folge („Der kalte Bürgerkrieg“) suchte er auf beiden Seiten nach der Verantwortung – eben auch im Westen: „Es geht darum, ob wir in Westdeutschland von der Demokratie genügend und ausreichend Gebrauch gemacht haben ..., etwa bei den politischen Dingen: Verbot der KPD, politische Strafjustiz und am Ende der Radikalenerlaß, eingeführt, leider, von dem Emigranten Willy Brandt. All dies sind Dinge, die unserer Demokratie nicht würdig waren.“

So viel selbstkritischer Umgang mit der eigenen Geschichte war einigen Mitgliedern des NDR- Rundfunkrats zuviel – wenn auch erst Monate nach der dritten Ausstrahlung. In nichtöffentlichen Sitzungen des Gremiums hagelte es seither Vorwürfe: „Kriminell“ sei der Beitrag gewesen, er verhöhne erschossene und verkrüppelte DDR-Flüchtlinge, implizit werde im nachhinein „der Antikommunismus der Bundesrepublik Deutschland ... verächtlich gemacht“, der Autor habe den „Boden jeglicher Sorgfaltspflicht“ verlassen.

Für besondere Aufregung sorgte eine Filmsequenz, die sich mit den Toten an der innerdeutschen Grenze auseinandersetzte. Auf die Aussage eines NVA-Soldaten („Ich persönlich betrachte jeden Grenzverletzer als meinen Feind und würde nicht zögern, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen“) folgt der Kommentar: „Ja, es wurde geschossen, mit und ohne Schießbefehl – aus Angst und aus Notwehr und weil Soldaten dazu ausgebildet werden. Gestorben an dieser bewaffneten Grenze mitten durch das eigene Land sind: Flüchtlinge und Fluchthelfer, Betrunkene und Mutwillige. Aber auch DDR-Grenzsoldaten. Gezählt wurden meine Toten, deine Toten, nie aber unsere Toten. Und die Frage bleibt ja auch: Warum wurde dem nicht Einhalt geboten? Und sei es, in Gottes Namen und um der Menschen willen, durch die Anerkennung der DDR.“

Doch seine Abscheu gegen jedes Töten wurde dem Autor nachher gerade zur Last gelegt: Der Satz „Es wurde geschossen ..., weil Soldaten dazu ausgebildet werden“, könne „so nicht stehenbleiben“, das treffe doch nur auf die NVA-Soldaten zu.

Noch schlimmer erschien einigen Rundfunkräten die „Verunglimpfung“ Heinrich Lübkes. Hesslein hatte Propagandapamphlete beider Seiten vorgeführt, darunter eine Broschüre der West- FDP gegen den vermeintlichen Kommunistenhelfer Erich Ollenhauer und einen DDR-Titel, der den damaligen Bundespräsidenten als „KZ-Baumeister“ bezeichnete. Dazu ereiferte sich ein Rundfunkrat, hier würden „Stasi-Fälschungen als Tatsachenbehauptungen verbreitet“. Dem Kritiker war nicht aufgefallen, daß hier nur die psychologische Kriegsführung hüben und drüben in Bildern gezeigt wurde.

Angesichts solcher Ignoranz verwundert es nicht, daß die Kritiker schließlich forderten, die Sendereihe als „Verletzung des NDR- Staatsvertrages“ zu brandmarken – die schwerste mögliche Rüge, adressiert an den Intendanten.

Statt dagegen aufrechten Gang zu üben, pflichtete Fernsehdirektor Jürgen Kellermeier den Kritikern inhaltlich bei: In dem Beitrag gebe es eine Vielzahl von „absurden“ politischen Bewertungen, das sei zwar keine Verletzung des Staatsvertrags, der Film werde so, „wie er jetzt vorliege, allerdings nicht mehr wiederholt werden“, zitiert das Protokoll der Programmausschußsitzung. Vielleicht wäre aber gerade das nötig – und eine öffentliche Diskussion über den Film, die bislang nicht stattgefunden hat. Am 15. Dezember hat der Rundfunkrat das letzte Wort. Bodo Andersen