Die Tiger im Untergrund

Nach dem Verlust der Stadt Jaffna werden sich die tamilischen Krieger zur Guerilla zurückverwandeln  ■ Von Bernard Imhasly

Delhi (taz) – Erstmals seit vielen Wochen wagte es Sri Lankas Präsidentin, ihre schwerbewachte Residenz zu verlassen. Geschützt von einem massiven Aufgebot an Leibwächtern und Soldaten, nahm Chandrika Kumaratunga, zugleich Oberbefehlshaberin der Streitkräfte ihres Landes, die Meldung ihres Verteidigungsministers entgegen: Die historische Stadt von „Yapa Patuna“ sei wieder in der Hand der Regierungstruppen. Die Wortwahl war nicht dazu angetan, die Tamilen zu beruhigen. Yapa Patuna hatte der singhalesische Prinz Sapumal im 15. Jahrhundert Jaffna gatauft, nachdem er die Stadt seinem tamilischen Rivalen entrissen hatte.

Am Tag vor Kumaratungas Auftritt hatte Minister Ratwatte am Rand der Lagune von Jaffna die srilankische Flagge gehißt. Er beglückwünschte seine Truppen, den „Mythos der Unschlagbarkeit“ der tamilischen Befreiungstiger (LTTE), zerstört zu haben: „Wir werden die separatistischen Terroristen sehr bald vernichten.“ Am Mittwoch bekräftigte die Präsidentin diese Absicht, reichte aber zugleich einen Olivenzweig. Sollten die Tiger ihre Waffen niederlegen, würde sie von Strafverfolgung absehen. Die Reaktion von LTTE- Führer Prabhakaran war eindeutig: In einer in London veröffentlichten Erklärung bezeichnete er die „Invasion“ als „schweren historischen Fehler“, der „jeden Weg einer friedlichen Lösung verschlossen hat“.

Mit Jaffna verlieren die Tiger ein Stück „befreites“ Territorium. Die vier Jahre, in denen die Region praktisch einen unabhängigen Kleinstaat darstellte, hatten möglicherweise den verhängnisvollen Entscheid der LTTE beeinflußt, ihr Territorium im offenen Kampffeld zu verteidigen, anstatt in den Untergrund abzutauchen. Dies hat beinahe 2.000 Kämpfer das Leben gekostet – bei einer geschätzten Truppenstärke von 14.000 ein hoher Verlust.

Im Augenblick ist unklar, wie die Regierung ihre Doppelstrategie der militärischen Zerstörung und politischen Befriedung in Gang setzen wird. Bisher kontrollieren die Regierungstruppen von der Halbinsel Jaffna erst einen etwa zehn Kilometer breiten Korridor zwischen den Stützpunkten im Norden und der Stadt Jaffna im Süden. Es wird also zunächst darum gehen, den Rest der Halbinsel und die darum gelegenen Inseln zu besetzen und die Verbindung mit den Militärstützpunkten südlich der Jaffna-Lagune herzustellen. Militärexperten vermuten, daß dies rasch gelingt, da die LTTE versuchen wird, ihre Kräfte in den Dschungeln im Norden der Hauptinsel neu zu sammeln.

Der Beginn des politischen Prozesses wird durch die ständige Gefahr vor Überfällen erschwert, wenn es darum geht, die zurückgekehrte Bevölkerung zur Übernahme von Ämtern und politischer Verantwortung zu überreden. Bereits im Juli hatte Chandrika Kumaratunga davon gesprochen, die lokale Zivilverwaltung den im Parlament vertretenen Tamilengruppen zu übergeben. Allerdings verliefen frühere Versuche dieser Art wenig vertrauenerweckend. Der während der indischen Militärkampagne vor acht Jahren gemachte Versuch einer politischen Anti-LTTE-Front scheiterte nicht nur an den mörderischen Attentaten der Tiger gegen die Exponenten dieser Front. Die Vertreter des Bündnisses zerstritten sich, nutzten ihre Ämter, um sich zu bereichern und verloren so den Rückhalt der Bevölkerung. Dennoch bildet dieses Vorgehen die einzige Chance für die Regierung, den Spalt, der sich zwischen LTTE und Tamilen aufgetan hat, zu einem politischen Graben auszuweiten.

Kumaratunga muß zudem auf die singhalesische Bevölkerungsmehrheit achten. Trotz des starken Mandats, das ihr diese bei der Präsidentenwahl gegeben hat, verfügt die Regierung nur über eine hauchdünne Parlamentsmehrheit. Um die in ihrem Friedensplan vorgesehene Dezentralisierung der politischen Macht durchzusetzen, braucht sie die Unterstützung von zwei Dritteln des Parlaments.