Die Krankheit nicht heilen, aber stoppen

Hoffnung für Kranke und Infizierte: Neue Substanz unterdrückt die Vermehrung von Aidsviren. Doch die vollständige Heilung von Aidskranken bleibt weiterhin Utopie  ■ Von Karin Bundschuh

Berlin (taz) – Aidskranke hoffen wieder auf Heilung, seit vier Substanzen isoliert wurden, die angeblich die Vermehrung des Aidsvirus (HIV) unterdrücken. Entdeckt haben sie Wissenschaftler des Paul-Ehrlich-Instituts in Langen und Forscher um den Amerikaner Robert Gallo, einem der beiden Entdecker des Aidsvirus. Interleukin 16 (IL 16) heißt das Eiweißmolekül, an das die Wissenschaftler am Paul-Ehrlich-Institut ihre Hoffnungen knüpfen. Wie dieser Botenstoff des Immunsystems das HI-Virus in Schach hält, ist noch unklar. Doch bei Versuchen an infizierten Zellkulturen stoppte IL-16 die Vermehrung des HI-Virus vollständig. Die drei Substanzen, die das Team um Gallo gefunden hat, sind mit IL 16 verwandt und gehören zur Gruppe der Chemokine.

Trotz vielversprechender Laborergebnisse warnte Reinhard Kurth, Projektleiter am Paul-Ehrlich-Institut, am Mittwoch abend vor überzogenen Erwartungen. Es sei „Utopie, auf eine vollständige Heilung Aidskranker durch IL-16 zu hoffen“. Für ihn wäre es bereits ein enormer Erfolg,wenn es gelänge, die tägliche Vermehrung der Viren im menschlichen Körper von derzeit 100 Millionen auf eine Million zu vermindern. Bei Aidspatienten, deren Immunsystem die Virenzahl gering halten konnte, brach die Krankheit bisher viele Jahre später aus als bei Infizierten, die viele Millionen Viren im Körper trugen.

Auch Uli Markus vom Aidszentrum am Robert-Koch-Institut in Berlin mahnt zur Besonnenheit. Er spricht zwar von einem „großen Forschungserfolg“. Doch ob und wann sich die Ergebnisse in eine Therapie umsetzen lassen, müsse man abwarten. Gerade bei der Verwendung von Botenstoffen des Immunsystems zur Behandlung von Krankheiten gab es in der Vergangenheit immer wieder enorme Probleme. Die Substanzen ließen sich nicht gezielt an die Orte bringen, an denen sie wirken sollten, und deshalb mußten Patienten bei Interleukintherapien erhebliche Nebenwirkungen, wie Fieber und Durchfall, in Kauf nehmen.

Abzuwarten bleibt nach Markus' Ansicht auch, ob sich die amerikanischen und deutschen Forschungsergebnisse gegenseitig bestätigen. Seit vielen Jahren suche die Wissenschaft nach solch einem Suppressor-Faktor, der die Vermehrung des Virus unterdrückt. „Wir wußten die ganze Zeit auch, daß es ihn geben muß. Und jetzt haben wir plötzlich vier anstelle von einem.“ Nun müssen die Forscher klären, ob dieser Unterdrückungsmechanismus nicht viel komplizierter ist, als Forscher bisher glaubten.

Auch bei der Deutschen Aidshilfe glaubt man, daß es für große Hoffnungen auf eine Heilung von Aidskranken zu früh ist. Dennoch spricht der Vertreter der medizinischen Abteilung „von einem sehr interessanten Laborversuch“, der in die richtige Richtung – die der Suppression – geht. Da aber bisher sehr viele Substanzen „in Laboruntersuchungen sehr viel gemacht haben“, setzt er aufs Abwarten.