Coming-out der Bremser: Euro-Geld erst 2001?

■ In Frankreich formiert sich eine neue Front von Maastricht-Gegnern. Ex-Verteidigungsminister Chevènement spricht vom ersten Streik gegen Europa

Die letzte große Wende der französischen Wirtschaftspolitik kam direkt nach einem deutsch- französischen Gipfel, erinnerte die französische kommunistische Zeitung L'Humanite gestern mahnend ihre Leser. Wenige Tage nach dem Treffen mit Kohl Ende Oktober in Bonn hatte Jacques Chirac seinem Volk im Fernsehen erklärt, es müsse sich auf zwei Jahre rigorose Sparpolitik einstellen. In der Folge nahm die Austeritätspolitik, gegen die sich die gegenwärtigen Massenstreiks richten, konkrete Formen an. Jetzt wittert das Blatt, das seit Jahren gegen das „Diktat der Bundesbank“ wettert, neue Gefahren durch das gestrige Treffen in Baden-Baden: Kohl und Chirac könnten trotz aller Beteuerungen die französische Währung direkt an die deutsche Mark binden.

Kein Zweifel, das Thema „Maastricht und die Folgen“ steht in Frankreich ganz oben auf der Tagesordnung. Drei Jahre nach dem Referendum über den europäischen Eingungsvertrag, bei dem die Befürworter nur eine hauchdünne Mehrheit davontrugen, steht die für 1999 geplante Währungsunion im Zentrum der Debatte. Rechte und linke Gegner des Vertrages warnen Schulter an Schulter vor kulturellem Identitätsverlust, sozialen Einbußen und einer Bevormundung von außen – ganz besonders von seiten des großen Nachbarn im Osten – den Deutschen.

Dabei hatte die Debatte über die drastischen Sparpläne für Sozialversicherung und öffentlichen Dienst ganz anders begonnen. Chirac hatte die schmerzhaften Einschnitte zunächst nicht europäisch, sondern ausschließlich national begründet: Ein großes Land wie Frankreich könne nicht auf Dauer mit einer solch massiven Verschuldung leben. Sein Premierminister Alain Juppé wurde noch deutlicher: „Ob mit oder ohne Maastricht – Frankreich braucht die Reformen.“

Die Botschaft kam an: Die Unruhen und Streiks richteten sich gegen die eigene Regierung – und nicht gegen Europa. Zwar ist die Mehrheit der Franzosen längst davon überzeugt, daß ihre Sozialversicherung reformbedürftig sei. Doch der „Juppé-Plan“ und die darin vorgesehene „gerechte“ Verteilung der Kosten auf Mini- und Spitzenverdiener wird weithin als ungerecht empfunden.

Jetzt hat sich der Wind gedreht: Die dramatische innenpolitische Krise, die Zuspitzung der Streiks und das Mißtrauensvotum gegen Premierminister Juppé verschaffen den Maastrichtgegnern ein neues Forum. Der frühere sozialistische Verteidigungsminister Jean-Pierre Chevènement sprach am Dienstag im Parlament unverblümt vom „ersten Streik gegen Maastricht“ und forderte den französischen Rückzug aus der Währungsunion. Die Befolgung der harten Stabilitätskriterien (siehe Kasten Europoly) zerstörten die Wirtschaft des Landes.

Ein prominenter Maastrichtgegner vom anderen Ende des politischen Spektrums, der neogaullistische Exinnenminister Charles Pasqua, nutzte ebenfalls die Gunst der Stunde: „Die Zukunft Frankreichs“, sagte er in einem Interview mit der Zeitschrift L'Express, „darf nicht von Entscheidungen der Bundesbank oder der Banque de France abhängen. Pasqua kennt auch schon den Ausweg aus der Krise: Die Einführung der einheitlichen Währung soll auf das Jahr 2001 verschoben werden. „Das wäre kein Drama.“ Dorothea Hahn, Paris