Die allzu ferne Taube

■ Die Währungsunion beginnt als Zumutung

Der Spatz in der Hand ist den Menschen in der Regel lieber als die Taube auf dem Dach. Diese Vorliebe schafft für die von Politikern und Konzernlenkern gewünschte Europäische Währungsunion erhebliche Probleme. Die Taube scheint den meisten Europäern gar zu fern.

Weil die Regierenden den Franzosen und Belgiern auch noch den Spatz in der Hand wegnehmen wollen, setzt es nun Keile. Monatlich 150 Mark weniger für die Währungsunion „derer da oben“ mußte mit Streiks quittiert werden. Der Hinweis auf die glorreiche europäische Zukunft mit mehr Wohlfahrt und mehr Arbeitsplätzen scheint wenig glaubhaft.

Der in Frankreich sichtbar werdende Konflikt wird uns in den kommenden Jahren begleiten. Viele europäische Staaten müssen, um die von den EU-Regierungen festgelegten Kriterien für eine Währungsunion zu erfüllen, drastisch sparen und Steuern erhöhen. Sozialleistungen fallen weg, hart erkämpfte Rechte und Annehmlichkeiten sind gefährdet, Bürgerinnen und Bürger werden geschröpft. Der Verteilungskampf wird härter. Schließlich können die Regierungen angesichts der Währungsunion nicht einfach mehr Geld drucken, um wirtschaftliche Unpäßlichkeiten oder Sozialprobleme zu lösen.

Unterstützung für solche Sparprogramme könnten Regierungen nur gewinnen, wenn der Streichung von Besitzständen und der Erhöhung von Steuern Erfolge im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und für mehr Lebensqualität gegenüberstünden. Solche Erfolge aber erscheinen mehr als unsicher. Kurz, die versprochene Taube hat sich auf das Kirchendach der Nachbargemeinde verflüchtigt.

Nur zu recht hat also, wer gegen finanzielle Zumutungen für eine solche Währungsunion protestiert. Daran ändert die Unterstützung von Kanzler Kohl für den lieben Jacques Chirac auch nichts mehr. Die Frage nach dem möglichen Sinn einer Währungsunion ist damit allerdings nicht abschließend beantwortet. Wer heute mit einem Hunni nach Frankreich reist, ihn dort in Francs umtauscht, nach Spanien weiterfährt, die Francs in Peseten umtauscht, mit dem TGV zurückkommt und die Peseten wieder zu Franc umrubelt, um anschließend nach Amsterdam zu fliegen und dort die Francs in Gulden umzusetzen, wird für seine Gulden nach der Rückkehr in Berlin reichlich 70 Mark zurückbekommen. Nicht nur für Interrail-Reisende brächte eine Währungsunion Vorteile. Hermann-Josef Tenhagen