Jenseits vom Kommerz?

■ „Lustwandel“, mehr als ein Werbe-Projekt kleiner Läden, will das Schanzenviertel zum Blühen bringen Von Elsa Freese und Maike Arndt

„Wo viele Frauen sind, fängt selbst eine Steinwüste wie das Schanzenviertel an zu blühen!“, schwärmt die Künstlerin Alexandra Rister aus der Werkstatt Malerei und Schriftkonzept. Alexandra ist eine von sieben Frauen, die das Projekt „Lustwandel“ ins Leben gerufen haben.

Lustwandel? Das Schlendern durch malerisch angelegte Natur, losgelöst von äußeren Zwängen sich in Muße ergehen – ein Spaziergang im Spätherbst in Versailles ...? Oder Lust und Wandel – wandelt sich die Lust? Das Schanzenviertel ist nicht Versailles, es ist ein gewachsenes Viertel mit einer guten Mischung aus Alteingesessenem und urbanem Lifestyle. Man geht einkaufen, zum Augenarzt, ins Kino oder zur S-Bahn – immer durch Hundescheiße. Was also will ein Projekt namens Lustwandel hier erblühen lassen?

Der Erhalt des facettenreichen Viertels war und ist das Hauptanliegen der 20 kleinen Läden, Restaurants und Kneipen, die sich hier zusammengeschlossen haben. Über ein Jahr wurde diskutiert, geplant, layoutet, bis die unterschiedlichsten Interessen unter einen Hut gebracht werden konnten. Herausgekommen ist eine Kooperation von Individualistinnen, mit denen wir uns über das Thema Mode austauschen, denn die steht im Vordergrund des Projekts.

„Ich mach' in Kleidung – ob das Mode ist?“, sinniert Hagar von Sisterhood vor sich hin. Nicole, die Betreiberin von Orange, verarbeitet derart naturbelassene Wolle, daß sie kratzt. Ihre Kosten deckt sie mit dem Verkauf von gefälliger Konfektionsware. Alexandra von Malerei und Schriftkonzept schafft Kunstwerke, die man betrachten, aber nicht kaufen kann. Ihr geht es darum, einen Raum zu schaffen, in dem unser Bedürfnis nach Konsum außer Kraft gesetzt wird. Wir sehen ein, es wird nicht leicht sein, es wird wohl eher philosophisch und gesellschaftskritisch auf unserer Mode-Sonderseite werden. Was anklingt, ist, daß den Initiatorinnen daran liegt, sich – unkommerziell? – gegen Stadtteile, die zu gestylten Einkaufsmeilen verkommen, und Einkaufszentren mit Raumschiffatmosphäre abzugrenzen. Ob die Illusion, den Status quo des Schanzenviertels einzufrieren, sich erfüllt oder überhaupt wünschenswert ist, bleibt dahingestellt. Zumal steigende Mieten und der vermehrte Zuzug von „Dinks“ (double income, no kids) eher auf das Gegenteil schließen lassen. Eine nette Vorstellung wäre es allemal: Man gibt die Geldbörse am Eingang zum Schanzenviertel ab und betrachtet das Geschehen als eine Art Ausstellungsraum für zeitgenössisches urbanes Leben.

In der Realität tritt die Schanze augenblicklich das Erbe von St. Georg an. Dagegen versucht sich die „Frauengruppe“ zu engagieren. Mit der Betonung des Schönen und dem Erhalt von Vorgefundenem. Denn die Frauen verstehen sich auch als politische Künstlerinnen, wie Marjon von Schmuck und Objekt zeigt: Die Goldschmiedin, die ungern mit Gold, Silber und Platin umgeht, sondern Knochen und Stahl bevorzugt, will sich dadurch gegen den Raubbau an der Natur verwahren. Der Wert eines Schmuckstücks entsteht nach ihrer Meinung nicht durch die Materialien, sondern durch künstlersiche Gestaltung.

Der ökologische Aspekt, eine gewisse political correctness und die Liebe zum Viertel einen die Lustwandel-Initiatorinnen, die sich mit dem Werbe-Zusammenschluß auch ein wenig gegenseitig unter die Arme greifen wollen. Denn sie alle fassen sich ab einem gewissen Punkt auch wieder als Einzelkämpferinnen auf – selbständige Unternehmerinnen mit finanziellem Risiko und unbegrenzter Arbeitszeit.

So läßt sich lustwandeln auch jenseits der Grenze, wie die Hanfjacke beweist, die als Anschauuungsmaterial mitgebracht wurde, auch wenn das Hanf-Haus nicht zum engen Projekt-Kreis zählt. Nett anzufassen und anzusehen ist sie auf jeden Fall. Allerdings schwarz gefärbt, obwohl, so wird uns erklärt, strenggenommen jede Form von Färbung ökologisch bedenklich ist, was sowohl die Schadstofffreiheit der Kleidung als auch die Entsorgung in den Färbereien betrifft.

Dabei wären wir nie auf den Gedanken gekommen, daß in Hamburg eine Färberei ansässig ist. Und schon schweifen die Gedanken ab in marokkanische Gefilde, in denen Färber von morgens bis abends knietief in Farbbottichen stehen und von ätzendem Geruch umgeben ihrem Tagwerk nachgehen. Damit hat die Hamburger Färberei mit dem Namen Indigo in Eimsbüttel wenig gemein. Im Hinterhof in der Wiesenstraße färbt Johannes Harborth Garne für kleine Webereien oder private Kundschaft.

Farblos wollen die Lustwandel-Designerinnen im Schanzenviertel gewiß nicht sein – zeitlos schon eher. Mode bedeutet ihnen mehr als die zeitgemäße Art, sich zu kleiden. Sie wollen Kunst mit Handwerk verbinden, wie beispielsweise Regine Steenbock, die Kostüme für die Straße entwirft. Denn: Die ganze Welt ist eine Bühne ...