Putzschwämme mit ISBN-Nummer

Gegen Ereigniskonserven, Sinnkollaps und Perlweißzähne. Enno Stahl unternimmt seit sieben Jahren Raubzüge im Osten und publiziert die Beute in seinem Krash-Verlag: Antiliteratur, billig und mit Jerry-Cotton-Ästhetik  ■ Von Susanne Messmer

Statt. Anstatt. Statt. Anstatt. Statt. Anstatt.“ – so lauten die Zeilen eines Gedichts, das Enno Stahl neulich im Torpedokäfer im Prenzlauer Berg zum Vortrag brachte. Anlaß hierfür war eine durch seinen Kölner Krash-Verlag durchgeführte „Fütterung“ der östlichen Dichterkollegen.

Statt aber zuzuhören, fielen die angesprochenen Dichter und Nichtdichter der Tafelrunde über Kürbiscremesuppe, Linsendips, Erbspüree, Lamm und Rosmarinkartoffeln her. Es war ein ergötzlicher Abend, ganz im Sinne des Krash-Verlags also, dessen Bücher und Buchobjekte den Bauch ohnehin nie zu kurz kommen lassen.

Enno Stahl ist nicht nur ein rabiater Performer, der weiblichen Berichterstattern einen Schlag in die Fresse androht, falls sie gedenken, Blödsinn über Krash in die Öffentlichkeit zu tragen. Stahl ist Verleger und Kritiker mit Germanistenvergangenheit, Herausgeber von Inutilismen-Lexika mit nicht- gebräuchlichen Neuworten und eigenhändiger Schriftbildner.

Er verdrechselt kratzbürstige Haßtiraden, ekelerregende Abfallsprache, Ramsch, Reflexion, Kitsch und Kunst zu einer atemberaubenden, schlagkräftigen Sudelprosa und erzählt Geschichten von abservierten Schriftstellern des Prenzlauer Bergs, die sich orientierungslos durch die Stadt der Baustellen schleppen, sich verirren und nicht, wie andere, die frühere Rolle wiedereinnehmen, „als sei nichts passiert“.

In den sieben Jahren seit der Verlagsgründung stellte Stahl in Zusammenarbeit mit einer bunten Masse von Dichtern, Musikern und bildenden Künstlern fern jeglicher Profitgier so ziemlich alles an, um den „Ereigniskonserven“, dem „Sinnkollapps“ sowie „blondgelockten Perlweißzähnen“ den Krieg zu erklären. Eine Antikunst entsteht, die nicht eben moralfrei, aber deshalb nicht weniger sympathisch ist.

Seit ungefähr drei Jahren unternimmt er Kreuz- und Raubzüge in den Osten. Dort nämlich, so die missionierten Dichterkollegen Frank Willmann und Jörn Luther, seien die Leute weniger frei, gescheit, kreativ und zukunftsorientiert als im Westen: ein Ergebnis der Evolution, die sich seit 2.500 Jahren von Osten nach Westen bewegt habe.

Frank Willmann ist ein Mischwesen. Als gebürtiger Weimarer zog er 1984 nach Westberlin und lebt und arbeitet seit 1989 hüben wie drüben. Bei einer Kölner Literaturmeisterschaft trat er in einem Boxring auf. Die Zuhörer konnten Wetten abschließen. Anläßlich einer Ausstellung über Kaugummikunst las er, trotz desinteressierter, Hamburger verzehrender Zuhörer, auch schon bei Mc Donald's. Andererseits schreibt er im Kombinat Bücher mit Jörn Luther.

Dieser, ebenfalls aus Weimar, nun wohnhaft in Ostberlin, hat im Frühjahr dieses Jahres bei Krash die Anthologie „Figuren & Capriccios“ herausgegeben, in der vor allem experimentelle Literatur von Schriftstellern wie Bert Papenfuß, aber auch unbekannteren, zumeist in Berlin ansässigen Autoren versammelt ist. Willmann und Luther haben eine Hommage an Hans Heinz Ewers geschrieben, der um die Jahrhudertwende gotteslästerliche und dekadente Trivialliteratur schuf.

„über dem kaukasus lag dein blauer“ ist ein skurriler Krimi, in dem Wirklichkeit etwa so überzeichnet ist wie in einem Comic. Zwei schöne, fortwährend lachende deutsche Freunde, der dunkelgelockte Professor Frank Braun und der „holde Held“ Jan de Olieslagers, begeben sich auf die Suche nach dem Geheimbund C33, der ein zwölfjähriges Mädchen auf dem Gewissen haben soll.

Orte und Personen wechseln wild. C33 ist immer und überall: eine Verschwörung, ein Gedicht eines Feinschmeckers an seine Frau, eine indische Sekte in Rom, eine Ordensgemeinschaft der Flügelkreuzler und der Anführer eines Voodookults in Haiti.

Am Ende stellt sich heraus, daß alle Figuren, darunter auch die Maler „Bäng und Paselwitz“, der „zeitweilige Herrscher ostelbischer Berg- Elyseen Sascha Pascha“, aber auch das für tot gehaltene Mädchen selbst in C33 verwickelt sind. Die Art der Verwicklung bleibt ungeklärt. Und das ist auch gut so. Denn wo blieben sonst all die dekadenten, blutrünstigen Details, die den Roman so ergötzlich machen?

Dieser Krimi ist in einer Reihe des Krash-Verlags erschienen, die sich Gossenhefte schimpft. So wie sie aussehen, würden sie in keinem Bahnhofskiosk auffallen. „Die Leute denken, es ist Jerry Cotton, und merken dann, daß man ihnen Literatur angedreht hat“, eine Literatur, die zunächst eingängig klingt. Das Unbehagen kommt durch die Hintertür. Bekannte Klischees wirken immer einen Tick zu klischeehaft, die Redewendungen immer verdreht: „Ewig währt am längsten.“ In dieser Reihe findet man bei Krash außerdem die „sexistische Compilation“ „Quarktaschen und Pißstengel“, einen inzestuösen Heimatroman Enno Stahls und noch einiges mehr.

Opfer des vorweihnachtlichen Hochglanzbuchrummels sollten sich bei den Publikationen des Krash- Verlags erholen. Dort werden sie mehr finden als bloße Literatur: lustvolle Antikunst, Aktionen mit verlorenen, unlesbaren Büchern (Pflastersteinen und Putzschwämmen mit ISBN-Nummern), mit Videos und Copy-Art. Für den Frühling ist ein Krimi der sechs Autoren angekündigt. Darin bringt der Massenmörder Troll dreizehn Menschen aus Politik und Wirtschaft ihrer Profession entsprechend um die Ecke. Fußballer werden beispielsweise durch Einnähen des Kopfs in einen Fußball erstickt.

Enno Stahl: „Piratenbrut“. 88 S., 14,80 DM

„Figuren & Capriccios“, hg. von Jörn Luther und Jürgen M. Paasch, 130 S., 15 DM

Jörn Luther und Frank Willmann: „über dem kaukasus lag dein blauer“ Gossenheft 30, 5,80 DM

Quarktaschen & Pißstengel“, 3,80 DM

Krash Verlag, Jülicher Straße 24a, 50674 Köln