Das Baliemtal in Irian Jaya

Die indonesische Regenwaldregion gehört zu den am wenigsten besiedelten Gebieten der Welt. Doch langsam streckt der Tourismus seine Fühler nach den einheimischen Papuas aus  ■ Von Anna Gerstlacher

Fremd ist der Klang der Silben Iri-an Ja-ya. Mehrfaches Wiederholen läßt zwar die Worte selbstverständlich über die Lippen laufen, doch die Exotik verschwindet nicht. Irian Jaya heißt auf deutsch: Neues Gebirge. Buchstabiert steht I für Independent, r für Republic, a (hier ist das bewußte Verdrehen von zwei Buchstaben notwendig) für against, i für Indonesia und n für Netherlands. Tief hat sich die Wunde der zweiten Kolonialisierung durch die Indonesier in den Köpfen der einheimischen Papuas festgefressen, nachdem die Holländer im Jahre 1963 das Land verlassen mußten.

Die Gründe für die Zwangsannektion sind offenkundig: Weite geschlossene Regenwalddecken, reiche Gold-, Kupfer- und Zinnvorkommen vergrößerten nicht nur das Staatsgebiet um rund 400.000 Quadratmeter, sondern zugleich waren neue Ausweichgebiete für die damals einsetzende Migrationspolitik „transmigrasi“ gefunden. Die Scheinwahlen im Jahre 1969, durchgeführt von etwa 1.000 von der indonesischen Regierung bestochenen Wahlmännern, entschieden den Verbleib im indonesischen Archipel und besiegelten somit das vorläufige Schicksal.

Die bis heute aktive Untergrundbewegung OPM (Organisation Freies Papua) verschwindet immer mehr aus dem Blickwinkel selbst der lokalen Bevölkerung. Zu ungleich sind die Voraussetzungen: hier das gut ausgerüstete Militär, das bei den Unruhen in den siebziger Jahren nicht einmal vor Napalmeinsätzen zurückschreckte, dort die Einheimischen, bewaffnet mit Pfeil und Bogen, und seien es Giftpfeile. Mit 1,7 Millionen Menschen und einer Million Krokodilen gehört die Regenwaldregion zu den am wenigsten besiedelten Gegenden der Welt. Malariaverseuchte Küsten hielten fremde Eindringlinge ab, und unwegsame Dschungelgebiete erlauben keinen bequemen Einstieg ins Landesinnere.

Und trotzdem, auch in Irian Jaya ist die Zeit nicht stehengeblieben. Langsam streckt das 20. Jahrhundert seine Fühler in alle Ecken des Landes aus. Noch in diesem Jahr soll die erste Straßenverbindung zwischen der Provinzhauptstadt Jaya Pura und Wamena, der Hauptstadt des Baliemtales, fertiggestellt werden. Keine asphaltierte Straße, sondern nur eine Piste, die ausreichen muß, um Militär- und Transportgüter über 600 Kilometer von Merereshöhe durch unwegsamen Dschungel in das rund 1.600 Meter hoch gelegene Tal heraufzurollen. Noch fehlt die notwendige Infrastruktur für eine touristische Nutzung der Gegend.

Bisher ist Wamena nur durch das Nadelöhr eines kleinen Flughafens zu erreichen. 40 Minuten dauert der Flug. Von sechs bis zehn Uhr morgens wird geflogen, danach machen die tiefhängenden Wolken selbst in der Trockenzeit den Anflug unmöglich. Es herrscht Ruhe im Tal. Ein großer Teil der 150.000 Menschen im Tal scheint täglich zum Flughafen zu eilen, um Zeuge des allmorgendlichen Spektakels zu werden. Nicht die wenigen Einheimischen, die die Maschinen verlassen, sind das Objekt des Bestaunens, sondern der weiße Mann und seine Frauen werden unverblümt angestarrt.

Seit Limbunan – die größte ostindonesische Reiseagentur mit Sitz in Sulawesi – das „Hanoi Resort“ fünf Kilometer außerhalb der Stadt eröffnete, haben die schmuddeligen Unterkünfte mit glanzvollen Namen wie „Baliem Palace“ Konkurrenz bekommen. 26 Bungalows sollen zum Jahresende den Reisenden zur Verfügung stehen. Die große TV-Satellitenschüssel ist bereits aufgestellt, doch die Bierlieferungen lassen noch auf sich warten. Die Lizenz ist schon beantragt, und wenn der Resort- Chef einen Sicherheitsbeamten anstellt – eigens zur Bewachung der Alkohollieferungen –, dann kann das kühle Naß durch die ausgetrockneten TouristInnenkehlen fließen.

Die Einheimischen sollen vom Bier jedoch nichts abbekommen; sie vertragen anscheinend selbst geringe Mengen noch schlechter als die fremden Bleichgesichter. Durch ein striktes Alkoholverbot in Irian Jaya versucht die indonesische Regierung die verheerenden Alkoholfolgen, wie sie bei den Blutsbrüdern im selbständigen Nachbarstaat Papua-Neuguinea zu finden sind, zu verhindern.

Spätestens beim Besuch des zentralen Markts in Wamena kommen Touristen mit der lokalen Bevölkerung, den australoiden Danis und Lanis, in Berührung. Scheu, am Boden kauernd, Kinder oder Schweine im Schoß versorgend, sitzen die Frauen barbusig vor ihrem kärglichen Angebot: ein paar Kartoffeln, Paprika oder die Volksnahrung Süßkartoffeln werden verkauft. Ausgemergelte Hängebusen zeugen von Kinderreichtum und schwerer Arbeit. Als Motiv für die Fotografen kommen gelegentlich Hände mit kurzen Fingerstummeln zum Vorschein. Nach alter Sitte müssen sich Frauen, wenn ihr Mann oder ein Schwein stirbt, ein Glied vom Finger abschneiden. Nur der Daumen bleibt erhalten, den brauchen sie bei ihrer Arbeit im Garten oder auf dem Feld.

Hinter Verkaufsständen stehend, nackt, zum Teil mit Haarschmuck verziert, betrachten die Danimänner neugierig die Neuankömmlinge. Kurzzeitig vergessen sie sogar ihre Geschäfte, die Souvenirs in Form von gehäkelten Großnetzen, Steinäxten, Armbändern oder Asmatschnitzereien. Und nicht zuletzt Kotektas, Kürbisse, die während der Wachstumszeit durch Steine in die Länge gezogen werden. Stolz tragen sie ihre Kotektas, über den Penis gestülpt, zur Schau. Mit Bindfäden um den Bauch gehalten, wird die gesamte männliche Potenz ausgestellt. Die natürliche Selbstsicherheit der Danis läßt unmittelbar alle Bekleidungsfragen vergessen, und einer ungetrübten gleichgestellten zwischenmenschlichen Kommunikation steht nichts im Wege.

„Red money“, 100 Rupies (5 Pfennig), werden für ein Foto erwartet. Seit diesem Jahr stehen Zigaretten als Geschenk hoch im Kurs. Obwohl die Preisverhandlugen für Fotos manchmal recht kompliziert sind, weil die Einheimischen die indonesische Währung nicht kennen, haben die Kaurimuscheln, die bis in die siebziger Jahre als Zahlungsmittel galten, heute ausgedient. Als Krawatten bei Festivitäten oder als Mitbringsel sind sie jedoch noch häufig zu finden.

Ein dreistündiger Ausflug führt über die Pistenstraße durch wuchernden Dschungel zum Habema-See. Dort landete im Jahre 1938 das erste amerikanische Flugzeug. Mit Pfeil und Bogen wurden die Insassen von den Einheimischen in Empfang genommen. Und gerade zwanzig Jahre sind vergangen, seit eine holländische Missionarsfamilie zu Weihnachten dem lokalen Kannibalismus zum Opfer fiel. Heute verzückt eher der als wertvoll angesehene Schweinebraten die Clanmitglieder. Dank unermüdlicher Unterweisung einer internationalen Missionarsgemeinde und permanenter indonesischer Regierungspropaganda.

Schwer fällt im Morgengrauen der Abschied am Rollfeld. Bei schönstem Wetter fliegt die frisch gestrichene Linienmaschine, selbst ohne Sicherheitsgurte, sicher an die Küste. Die Anschlußmaschine, die aus der Steinzeit nach Bali ins 20. Jahrhundert jettet, steht dort bereits zum Abflug bereit.