Nachhaltigkeit im Tourismus

Bisher kranken die meisten „nachhaltigen“ Modelle an der Wirtschaftlichkeit. Während die Reisenden mit ihrer Umweltbilanz konfrontiert werden, darf die Tourismusindustrie weiter unbehelligt den Kopf in den Sand stecken  ■ Von Christel Burghoff

„Sustainable Development“, zu deutsch: Eine nachhaltige, zukunftsfähige Entwicklung sei der neue kategorische Imperativ, war unlängst in der Zeit zu lesen. Die Karriere des Begriffs in Kreisen von Umweltengagierten wie in den Chefetagen der Wirtschaft bestätigt diese Einschätzung. Doch sicher gibt die Idee einer weltweiten Regulierung der Ressourcennutzung auch den Anstoß, genauer hinzusehen, wo und wie unsere Wirtschaftsweise eventuell zu ändern ist.

Auf einer Tagung der „Thomas Morus Akademie“ in Bensberg zum Thema „Nachhaltiger Tourismus“ kam unter dem trockenen Referatstitel „Bilanzierbarkeit von Nachhaltigkeit im Tourismus?“ ein Versuch auf den Tisch. Hubert Job von der Universität Trier hat mit seinen Mitarbeitern vorliegendes Material aus aller Welt nach den Kriterien Raumüberwindung, Wohlstand, Arbeitsplätze, Wirtschaftlichkeit, Akkulturation und Menschenrechtssituation gesichtet, hat es mittels komplizierter Berechnungen bewertet und dann in „Reisesterne“ übersetzt. Jede Spitze eines Sterns steht für einen dieser Indikatoren, und je nach Reiseziel sieht dieser Stern anders aus: Wer in den hiesigen Breiten reist, der bleibt mit allen Zacken in einem grünen Bereich, bei Fernreisen dagegen ragt die eine oder andere dieser Spitzen schnell in einen gelben oder sogar roten Bereich. Was unmißverständlich heißt: Hier werden (beispielsweise bei Immissionen und Energieverbrauch) Grenzbereiche des Verträglichen überschritten.

Dieser Versuch, die ökologischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen von Reisen für unterschiedliche Zielgebiete zu quantifizieren, könnte wie ein Ökolabel der Reiseberatung dienen. Doch dem „Reisestern“ liegt ein anderer Denkansatz zugrunde als den herkömmlichen Gütesiegeln. Er wirbt nicht für Ökoidyllen, sondern führt dem Reisewilligen unmittelbar die Folgen seines Tuns vor Augen. Ökogütesiegel unterschlagen zwangsläufig die Reisewege, erklärt Wissenschaftler Job. Ein schwerwiegendes Argument: Denn über 90 Prozent der Umweltschäden durch Tourismus entstehen allein durch die Reisewege, sprich die An- und Abreise. Während die bestehenden Ökolabel lediglich die Reiseziele selbst auszeichnen, kümmert sich Job nicht um die Angebote der Veranstalter. Sein „Reisestern“ zielt auf die Verbraucher und nicht auf die Anbieter.

Bislang wird „Nachhaltiger Tourismus“ vor allem von der Anbieterseite unter dem Aspekt der Vermarktung diskutiert. Und zwar im altbekannten Sinne eines „Sanften Tourismus“. Das heißt mehr umweltverträgliche Angebote im Zusammenhang mit mehr oder weniger ausgefeilten Maßnahmen zu realisieren, die in ihrer Gesamtheit eine regionale Wirtschaft „nachhaltig“ ankurbeln sollen. Modelle hierfür gibt es bereits viele. Fatalerweise kranken die meisten an dem, was sie bewirken sollen: an der Wirtschaftlichkeit. Düstere Zukunftsaussichten, wenn die öffentliche Hand nicht aktiv wird. Daß es mit diesen regionalen Modellen dennoch vorangehen muß, vertritt Christine Garbe vom BUND. Denn sie sind Teil der nachhaltigen Strategie. Als Kennerin der Auftragsstudie von BUND und Misereor zum „zukunftsfähigen Deutschland“ propagiert Garbe einen Instrumentenmix – angefangen vom Dialog mit großen Veranstaltern bis hin zu neuen Kommunikationsstrategien, um die Fakten an die Menschen zu bringen.

Der Hintergrund: Das Modell „Nachhaltige Entwicklung“ beruht auf zwei Grundsäulen, nämlich „Effizienzrevolution“ und „Suffizienzrevolution“. Meint ersteres die Ausschöpfung aller technischen Möglichkeiten zur Reduktion des Energie- und Rohstoffeinsatzes, so zielt letzteres auf die allgemeine Senkung unseres derzeitigen Anspruchsniveaus. „Die Rechnung mit der Effizienzrevolution allein geht auf Dauer nicht auf“, ist sich Garbe sicher.

Immer noch richtet sich die allgemeine Hoffnung unverdrossen auf den technischen Fortschritt. Das ist trügerisch. Aber auch kein Wunder. Denn bis heute hat der Industrie noch niemand eine ähnlich differenzierte Bilanz aufgemacht wie dem einzelnen Touristen. Wie nötig wäre es zu erfahren, welche Flugkontingente der Tourismusindustrie angesichts der geplanten CO2-Reduktion in Zukunft zur Verfügung stehen oder wieviel Reisen pro Kopf überhaupt zu verantworten sind! Die Konfrontation des Reisenden ist in vollem Gang. Die Konfrontation der Verantwortlichen indes steht noch aus.