: Karsten und Rainer tun es
■ Frank Keil porträtiert in „Irgendwie dazwischen“ die sogenannten 78er
Alle reden von Generationen – er auch. Aber doch tut er es ein wenig anders. Der 37jährige Hamburger Autor Frank Keil hat sich in WG-Küchen, Stadtteilgruppen und Kneipen umgehört und in seinem ersten Buch zehn Geschichten versammelt, die statt der üblichen Klischees genaue Momentaufnahmen vom Leben zwischen Arbeitsamt und Tresendienst im Kulturzentrum bieten.
Seine Figuren verfügen über viel, viel Zeit, einen ausgeprägten Möglichkeitssinn – und herzlich wenig sozialen Ehrgeiz. Norbert zum Beispiel: ein studierter Schmalspur-Oblomow in den Dreißigern, den einzig sein bis zum Anschlag überzogenes Girokonto noch daran hindert, den Rest seines Lebens früh schlafen zu gehen und im wohligen Dämmerzustand zu verharren.
Oder Georg, der Cineast, dessen Lebensinhalt die Auseinandersetzung mit Wim Wenders ist. Täglich nimmt er künstlerisch wertvolle Filme aus dem Fernsehen auf, täglich geht er an dem leeren Supermarkt auf dem nahe gelegenen Einkaufsgelände vorbei und überlegt, ob man sie dort vielleicht eines Tages unter seiner sachkundigen Anleitung dem interessierten Publikum vorführen sollte. Doch was passiert? Eine dieser schnöden Videotheken zieht ein, und Georgs kulturelles Kapital bleibt unverzinst auf der langen Bank liegen.
Daß es zwischen Müsliessern und Möchtegernkreativen auch ruppig zugehen kann, zeigen zwei andere Storys. Eine Front gegen Rolf! heißt die Parole in der Wohngemeinschaft, doch unglücklicherweise steht der Unsympath mit im Mietvertrag. Noch unangenehmer kann jedoch ein Untermieter wie der charmante Jason sein, der nicht nur keine Miete bezahlt, sondern außerdem eine gigantische Telefonrechnung hinterläßt und den halben Inhalt des Kleiderschranks mitgehen läßt.
Erstaunlicherweise stößt dessen professionelles Schmarotzertum bei Bekannten auf volles Verständnis, denn schließlich könne man heutzutage nur noch mit viel Kohle in der Szene mithalten. Fazit: Ein netter Kerl, aber leih ihm kein Geld!
Auch der verspätete Tanzschüler Albert, der arbeitslose Pädagoge Rainer und sein Mitbewohner Karsten, der als Fotograf Selbstverwirklichung betreibt und irgendwann einfach verschwindet, gehören zum Ensemble dieser finanziell chronisch unterversorgten Lebenskünstler „vor dem großen Durchbruch“.
Mit solchen lakonisch erzählten, alltäglichen Innenaufnahmen hätte der Autor zwar schon genug geliefert, muß seinen Protagonisten dann aber doch noch eine (überflüssige) Diagnose in den Mund legen: „Karsten und Rainer wissen: Beide sind sie Mitglieder einer Zwischengeneration. Einerseits zu früh, andererseits zu spät auf die gesellschaftliche Bühne getreten, konnten sie nicht mehr von der Aufbruchsstimmung der 68er profitieren und noch nicht von der der Punk-Generation und so weiter.“
Wir hatten es uns fast gedacht. Vier weitere, eher journalistisch gehaltene Schnappschüsse beleuchten dann noch die politischen Aktivitäten zwischen Anwohnerinitiative und Anti-Akw-Bwegung – und hätten vielleicht eher eine gute Stoffsammlung für das nächste Buch abgegeben. Gunnar Lützow
Frank Keil: „Irgendwie dazwischen“. Elefanten Press, 166
Seiten, geb., 29,90 DM
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