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■ Schöner LebenOlfaktorische Depression

Weihnachtszeit, Werbezeit – wenn man die Fernsehminuten auf die Wirklichkeit nach den Feiertagen hochrechnet, dann können wir uns vor allem auf eines gefaßt machen: Wahre Duftwolken werden allmorgendlich aus Badezimmern quellen, in Fußgängerzonen Schlieren ziehen (immer in Nasenhöhe – wie machen die das bloß?) und in Büros und Straßenbahnen und Kinos die Menschen umwehen. Grauenvoll! Aber so wird es kommen, irgendwie muß sich die Werbeoffensive der Duftwasserindustie ja lohnen. Asthmatiker werden auswandern, Eltern von Pseudokrupp-Kindern werden sich Gedanken machen müssen über Kinderlandverschickung.

Sagen Sie selbst, ist das nicht furchtbar? Verbirgt sich hinter all den Eau de Cologne-, Parfum-, Rasierwasserundsoweiter-Fläschchen nicht eine tiefsitzende Körperfeindlichkeit und damit ein Versteckspiel, das am Ende zu sozialen Verwerfungen, gescheiterten Beziehungen und überhaupt zu unguten Entwicklungen führen muß? Welche Tristesse, wenn sich die Menschen schon selbst nicht mehr riechen wollen und können! Und welch schreckliche Auswirkungen auf die Gemeinschaft! Wie soll sich denn in der alles überdünstenden Duftwolke einer noch zurechtfinden? Da werden sich Falschriecher gegenseitig Fremdgerüche vorgaukeln, sie werden sich riechen können, obwohl sie sich nicht riechen können, eigentlich. Die Nase sagt ihnen: sympathisch. Dabei stimmt die Chemie nur mit Hilfe von Estee Lauder, Chanel oder 4711 aus der Glockengasse. Was für ein Durcheinander! Gar nicht auszudenken!

Wie fröhlich können dagegen doch all die Menschen sein, die sich diesem fatalen Spiel entziehen und munter vor sich hinmüffeln. Die können ruckzuck als das erschnüffelt werden, was sie sind. Bebende Nüstern oder gerümpfte Nase, klarer Fall, die Ordnung ist wiederhergestellt. Nur: Die klarsten Fälle und die hartnäckigsten und damit ja eigentlich lobenswertesten Verweigerer von Duftwässerchen verschaffen der betroffenen Menschheit dann dummerweise eine Seelenpein, aus der es kaum einen Ausweg zu geben scheint. Sie tauchen auf in Straßenbahnen, Kinos und Redaktionsstuben (nur um mal ein paar der am häufigsten frequentierten öffentlichen Orte zu nennen) – und es müffelt, nein, es stinkt geradezu otterhaft. Und was macht die betroffene Menschheit? Sie atmet flach, steckt sich Tampons in die Nasenlöcher – und schweigt in peinlich betretener Aggression, gefangen zwischen Grausen und Wohlerzogenheit. Und reißt die Fenster auf, sobald der arme Mensch den Raum verlassen hat.

Das sind die olfaktorischen Depressionen: Bei den Müffelmännern und -frauen, weil sie's, wir ahnen es, nicht gut mit sich meinen, den Dreh aber nicht kriegen. Und bei der betroffenen Menschheit, die lieber heute als morgen vom verordneten Waschzwang Abschied nehmen und sich im Eigengeruch suhlen würde – wenn es bloß nicht so gnadenlos stinken würde. Tragisch, unauflösbar, grausam. Bleiben nur die besten Wünsche für die Geruchsguerrilla. Aber bitte nicht bei uns!

Jochen Grabler

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