Sanssouci
: Rundumschlag

■ Einkaufen, Folge 5: Selbstbelohnung und Imageerneuerung mit Teebaumöl, Kadarka und CK One

Mechanismus 1: Es gibt dicke psychoanalytische Abhandlungen über die Erotik des Geldes und weniger dicke darüber, wie Konsum als Akt der Sinnproduktion zu verstehen ist. Grundgütiger! Es geht auch kleinteiliger. Ich kaufe, also bin ich. Ich bin, was ich kaufe. Ich kann meine Identität durch den Kauf der immer selben Produkte bestätigen. Ich kann aber auch immer wieder etwas anderes kaufen, wenn ich das möchte oder wenn mich die Verhältnisse dazu zwingen. Wechsle ich die Produktklassen, bin ich jemand anderer. Vorausgesetzt, ich lese meine Persönlichkeit als Prisma, an dem mal diese, mal jene Seite stärker reflektiert, inspiriert durch Gründe, nun ja, wie Verliebtheit, Depression, Schuldgefühle, Bewunderung oder Neid. Konkret: Mit „Aveda“- Shampoo und „Fossil“-Uhr fühle ich mich als Trendsetter einer Mittelklasse, die sich als aufstrebend betrachtet. (Kann sich als Irrtum erweisen.) Mit „Teebaumöl“ aus dem Body Shop bin ich feministische, nach Schönheit trachtende Umweltschützerin. Beim Kaufen wechsle ich die Rollen und (v)erschaffe mir verschiedene Images. Kaufen ist Orientierung, und schlimm wird es, wenn ich mich, was das Preislevel betrifft, nach oben orientiere. Kaufen ist also ein Spiel (Merke: Auch Erwachsene brauchen Spiele!). Wie jedes Spiel kann es die Quelle großen Unglücks sein. Aber das erfährt man dann durch seine Bank.

Prismen der Persönlichkeit: 1989 ... Foto: Christian Brachwitz

Exkurs: Zu DDR-Zeiten hatte Kaufen einen völlig anderen Stellenwert als heute. Einkaufen war eine langwierige und oft vergebliche Jagd nach Notwendigem oder Schönem, das nicht einmal besonders teuer oder luxuriös sein mußte, um knapp zu sein. Der Akt des Kaufens war vom Geldwert der Waren abgespalten, so wie auch Notwendigkeit und also Gebrauchswert einer Ware von ihrem Geldwert abgespalten war. Aber wenn man eine Sache, sagen wir eine Flasche Rosenthaler Kadarka zu 6,50 Mark der DDR, dann endlich und oft genug zufällig, doch aufgetrieben hatte, war das Glücksgefühl unbeschreiblich. Kadarka ist Kadarka ist Kadarka. Jedenfalls war das vor sechs Jahren so.

Mechanismus 2: Dann existiert da noch ein verhängnisvoller Mechanismus, der nur sehr vermittelt etwas mit Notwendigkeit, Geld- oder Gebrauchswert zu tun hat. Es ist der – Konzentration! – Disziplinaufrechterhaltungsmechanismus. Immer, wenn eine besonders mühevolle oder widerwärtige Arbeit erledigt sein will, verspreche ich mir eine Belohnung, um sie tatsächlich gut und pünktlich fertigzustellen. Ich arbeite viel, sehr viel, und man muß kein Adam Riese sein, um sich auszurechnen, daß die laufenden Kosten für Belohnungen den Ertrag der Arbeit komplett auffressen. Nun wird man argwöhnen, daß ich so viel arbeite, um mich möglichst oft belohnen zu können. Das stimmt nicht. Belohnung ohne Arbeit – das ist nichts als höhnende Leere. Aber um das zu begreifen, muß man schon realsozialistisch sozialisiert, protestantisch erzogen und seit Generationen in Brandenburg beheimatet sein.

Mechanismus 3: Leute, die behaupten, nichts oder kaum etwas zu kaufen – meist Männer –, lügen, und zwar, weil sie, was sie kaufen, nicht mehr für Waren halten. Das sollte man ihnen nicht vorwerfen. Ich kann ohne Mühe vier Leute aufzählen, die der Beatles- „Anthology“ entgegenfieberten wie Alkoholiker der Pulle. Dieselben Menschen begeistern sich übrigens für das neue Parfüm von Calvin Klein „CK One“ (Assoziation: grenzenlos du-ich-wir-alle), was ich nicht tue, denn ich habe diese Assoziation nicht. (Siehe Mechanismus 1).

Mechanismus 4: Nachdem dieser Text abgeschlossen ist, muß es ein Flakon „Origins“ sein, denn heute steht „Frau, Mitte 30, ich-bewußt“ auf dem Spielplan. Natürlich besteht eine gewisse Differenz zwischen Spiel und wahrem Leben. Aber auch nicht immer. Anke Westphal