Die Revolution findet nicht statt

■ In der Innenverwaltung gibt es ein Tauziehen über die Verwaltungsreform zwischen Befürwortern und Bremsern. Das Konzept der Reform wird überarbeitet. "Die Zielvereinbarungen sind gekippt."

Bei der Umsetzung der Verwaltungsreform ist die Innenverwaltung in zwei Lager gespalten. Reformer und Antireformer stehen sich ausgerechnet in dem Ressort, das die Jahrhundertreform voranbringen soll, gegenüber. In der heißen Phase der Verwaltungsreform werde eine „Kostenorgie“ veranstaltet, heißt es aus der Bremser- Fraktion der Verwaltung.

Ab Januar sollen die Bezirksämter erstmals ermitteln, was ihr hoheitliches Handeln im Detail eigentlich kostet. Das Berliner Projekt „Unternehmen Verwaltung“ folgt dem gleichen Leitbild wie die Bürokratiereformen von über 300 anderen Kommunen und Behörden in der ganzen Bundesrepublik. Ein „neues Steuerungsmodell“ soll die Herrschaft „mittels bureaukratischen Verwaltungsstabs“ (Max Weber) ablösen. Statt dessen soll die Behördenspitze künftig wie in einem Unternehmen nicht mehr jeden Handgriff vorschreiben. In Verträgen, sogenannten Zielvereinbarungen, wird den Amtsleitern Freiraum gewährt. Die seit Wochen schwelende Lehrervertretungskrise zum Beispiel wäre nach der neuen Arbeitsweise einfach zu lösen. Denn die Schulleiter könnten selbst über Ersatz für die erkrankten Pauker bestimmen – ohne erst umständlich das zentrale Landesschulamt mitzubeteiligen.

Diese Zielvereinbarungen seien aber so gut wie gekippt, meint ein leitender Beamter der Innenverwaltung, der als Jurist und Angehöriger der Abteilung 1 (Verfassungs- und Verwaltungsrecht) auf der Seite der Reform-Bremser steht. Schließlich hätten die Rechtsämter der Bezirke diesen Teil der Verwaltungsreform erneut abgelehnt. (taz, 8. 12. 95) Das Konzept der Reform werde wieder überarbeitet, behauptet der Reformgegner: „Insofern sind die Reformer in ihrem Überschwang uns gegenüber zurückgewichen.“ Er sei gespannt, was in den „sogenannten Konzepten“ drinstehe. Der Sprecher des Innenressorts, Thomas Raabe, bestätigte, daß es in seinem Haus unterschiedliche Auffassungen zur Verwaltungsreform zwischen der Abteilung 1 und der Reformgruppe der Abteilung 5 (Verwaltungsorganisation) gebe.

Eine Kosten- und Leistungsrechnung ist der nächste Schritt der Verwaltungsreform, den 1996 alle Bezirke tun sollen. Nur Wilmersdorf ermittelt bislang, wieviel Geldaufwand es etwa für die Ausgabe von Gewerbescheinen treibt. „Ich ahne, daß die externen Gutachter in verschiedenen Bereichen zu viele Kosten erfinden werden“, kritisiert der Verwaltungsjurist. Der Einfluß seiner Abteilung wird durch die auf Effizienz und Bürgernähe zielende Verwaltungsreform geschmälert. Es werde nichts geschehen, „was wider die Grundstruktur des Rechts ist“, sagte der Beamte voraus. Eine „Revolution“ finde nicht statt.

Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) steht der Lagerbildung offenbar unentschieden gegenüber. „Einigt euch“ lautet seine Devise, egal wie. Heckelmann will zwar eine Reform, könnte aber auch mit einer Schrumpfversion leben. Das hat er in der letzten Ausgabe der verwaltungsinternen Reformpostille direkt wieder deutlich gemacht. Während der Regierende Bürgermeister sich engagiert für eine detaillierte Kostenrechnung einsetzte und die Bürokratie als „Standortrisiko ersten Ranges“ scholt, lobte Heckelmann das bereits Erreichte: Die erweiterten Zuständigkeiten in den Bezirken und das sogenannte Globalsummensystem.

Entschiedene Reformer wie der Weißenseer Verwaltungschef Norbert Przesang („Es geht um eine neue Denke“) nehmen den juristischen Widerstand ernst. Er könne sich negativ auf die Motivation der Mitarbeiter auswirken. Es sei wichtig, die Kostenrechnung jetzt wirklich einzuführen. Und der Verwaltungswissenschaftler Christoph Reichard zeiht die Amtsjuristen der Standespolitik. In Hunderten von Städten werde reformiert, aber „nirgendwo wird das so diskutiert“ wie in Berlin. Christian Füller