■ Nebensachen aus Bukarest: Die Securitate und der seriale Genitiv
Der Berichterstatter war kaum umgezogen, da klopfte auch schon die Securitate an die Tür. Ein eleganter Herr in Zivil, der sich als Polizist ausgab, aber überraschenderweise weder unfreundlich noch einfältig wirkte, nahm eine „Routinekontrolle“ vor. Flüchtig las er den Mietvertrag, und mit fotografischem Blick beäugte er das Bücherregal. Dann verblüffte er mit seinen Erkenntnissen: daß die Vermieterin, Frau Soundso, ja selten in die Stadt käme ... (Pause), nicht wahr? Der elegante Herr wartete nicht auf die Antwort. Er verabschiedete sich höflich.
Nun, ein gutes halbes Jahr nach diesem Antrittsbesuch, liegen die Schnüffeleien in synthetisierter Form vor: Der Jahresbericht des Rumänischen Informationsdienstes SRI – so der Tarnname der Securitate seit dem Sturz Ceaușescus – ist soeben erschienen. Das Werk ist ein Dokument des krankhaften Wahns im letzten Stadium, verfaßt von Semi-Analphabeten mit Vorliebe für den serialen Genitiv. („Die Verstärkung der Situationen wachsender Gefährlichkeit ...“) Der Stil verrät die Verfasser: Es gilt, das Verb vor Agenten-Lesern geheimzuhalten.
Zwar stellt der SRI-Bericht „Verfall, Zerstörung, Ineffizienz“ und andere „Katastrophen“ in der gesamten rumänischen Wirtschaft fest. Dennoch wimmelt es im Kapitel „Spionageabwehr“ von ausländischen Agenten, die alle nur auf eines scharf sind: nämlich auf jene rumänische Weltspitzentechnologie, die sich anderswo im Bericht als völliger Schrott darstellt.
„Identifiziert“ (diskretes Hilfsverb des Terrors) hat der SRI aber noch viel schlimmere Agenten: „Zwei Spionagekader, die sich mit dem Sammeln von politisch-sozialen Informationen beschäftigen.“ (Nie wieder Zeitungsartikel archivieren!) Andere Agenten „zeigen ein beständiges Interesse, mit Zigeunerführern oder deren Familienmitgliedern in Kontakt zu treten, um ihre eventuelle Bereitschaft zu einer Vernetzung in propagandistische, für Rumänien unvorteilhafte Aktivitäten auszubeuten“.
Natürlich „registriert“ der SRI auch den inneren Feind, zum Beispiel „ein breites Spektrum von Phänomenen, das zu einer schweren Schädigung des nationalen Interesses der Lebensmittelsicherheit führt“. Und der SRI konstatiert sogar einen „Prozeß der Versandung“, aber nicht etwa in Securitate-Hirnen. Nein! Er hat „in Oltenien durch chaotische Rodung der Waldvorhänge den Charakter eines Phänomens angenommen“. So geht es Satz um Satz, entlang „Zuständen fortgeschrittener physischer und moralischer Abnutzung“, bis die fortschreitende rumänische Realität endlich auf den Punkt gebracht wird: „Die Eisenbahninfrastruktur und das rollende Material befinden sich in einem Zustand kontinuierlichen Verfalls.“ Rhetorische Frage: Wer „deformiert im Ausland durch verzerrte Propaganda das Ansehen Rumäniens“? Die SRI-Agenten müßten die Antwort eigentlich selbst am besten kennen.
Der elegante Herr hat sich übrigens nie wieder gemeldet. Beim Ortsamt wurden Erkundigungen über den Berichterstatter eingezogen. Nicht darüber, ob die Meldepapiere in Ordnung sind. Sondern darüber, welche Artikel er nach Deutschland schickt. Wahrscheinlich aus Bosheit der Securitate-SRI wird das Telefon des Berichterstatters periodisch abgestellt. Oder liegt es doch nur an „menschlichen Zerstörungsaktionen der Kabel des Telefonnetzes“? Keno Verseck
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