Entwicklungspolitische Gruppen rücken zusammen

■ Unter dem Beifall des Entwicklungsministers wird ein neues Netzwerk gegründet

Berlin (taz) – Fast alle aus der entwicklungspolitischen Szene sind dabei: die großen Hilfswerke wie Misereor, Brot für die Welt oder die Kindernothilfe, aber auch kleine regierungsunabhängige Organisationen (NRO) wie Inkota- Netzwerk, die Peter-Hesse-Stiftung oder Weltfriedensdienst. In der kommenden Woche werden sich mindestens 80 Organisationen zum „Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen“ (Venro) zusammenschließen. Noch vor sechs Jahren war mit Auflösung des NRO-Forums der Versuch gescheitert, die entwicklungspolitischen Gruppen bundesweit zu vernetzen.

Vor allem seit der Öffnung der neuen Märkte in Ostdeutschland und Osteuropa haben sich die Bedingungen jedoch verändert. Nord-Süd-Themen finden immer weniger Beachtung – Ausnahmen sind nur Katastrophenmeldungen aus den Ländern des Südens. Massive Spendeneinbrüche stürzen besonders die kleineren Organisationen in existenzbedrohende Krisen.

Zugleich spielt auch auf staatlicher Seite die Nord-Süd-Politik eine immer kleinere Rolle. Die Wohlstandsinsel Deutschland schottet sich ab. Vom allseits geforderten und von Kanzler Kohl noch 1992 versprochenen Ziel, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, ist die BRD weiter denn je entfernt. Gegenwärtig liegt der Anteil bei 0,32 Prozent, Tendenz abnehmend. Unfreiwillig vereint sehen sich daher heute Entwicklungsministerium und regierungsunabhängige Organisationen in dem Versuch, die Bedeutung der Entwicklungspolitik in die deutsche Öffentlichkeit wieder hineinzutragen. Wenn am 19. Dezember Venro in Bonn offiziell gegründet wird, geschieht das in der Hoffnung, Sachverstand und Einfluß von vielen NRO zu bündeln und damit die politischen Interessen der Nord-Süd-Arbeit effektiver durchzusetzen. Die Struktur von Venro sieht vor, jeder Organisation, egal welcher Größe, eine Stimme bei der Wahl des Vorstandes, in allen Sach- und Finanzfragen und auf der Mitgliederversammlung zu geben. So soll gewährleistet werden, daß auch kleinere Organisationen mit ihren oft kritischeren Einstellungen gegenüber staatlicher Entwicklungspolitik demokratisch über Politik und Verfahrensweisen des neuen Netzes mitbestimmen können.

Skeptische Stimmen sprechen jedoch von der Gefahr, daß das neue Supernetz zu sehr mit dem Staat, insbesondere dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, gemeinsame Sache macht und vereinnahmt wird. Und tatsächlich: Herrschte noch im vergangenen Jahr gegenseitige Abgrenzung, so begrüßte jetzt der zuständige Minister Carl-Dieter Spranger klar und deutlich die Gründung von Venro. Denn nicht nur die NRO sind in einer schwierigen Lage. Auch Spranger muß um sein Ressort kämpfen und möchte sich daher der Unterstützung durch die NRO versichern. Man rückt in Krisenzeiten eben zusammen. Eberhard Bauer

Der Autor ist Geschäftsführer der Berliner NGO Weltfriedensdienst e.V.