Geruch des Elends loswerden

■ Jugendliche, Arme und Alte werden „Kunden“, die Sozialarbeit wird Dienstleistung – Strukturreform ein erster Schritt zur Privatisierung?

„Aus Jugendlichen werden Kunden“, hieß das Thema einer Tagung, zu der gestern SozialarbeiterInnen aus Bremer Jugendfreizeitheimen im Institut für Schulpraxis am Weidedamm zusammenkamen. Die Sozialverwaltung ist dringend reformbedürftig. Sie beschäftigt sich laut einer bundesweiten Untersuchung zu 70 Prozent mit sich selbst statt mit den Menschen. Das soll sich ändern, geht es nach Ulrike Rodenbüsch vom Amt für soziale Dienste. „Qualitätsmanagement“ heißt das Zauberwort, das sie in ihrem Referat mit Inhalt zu füllen versucht.

Voraussetzung: Die Politik stellt ein „Globalbudget“ für soziale Zwecke zur Verfügung, auf das Verlaß ist. Jugendclubs sollen nicht mehr willkürlich Haushaltskürzungen ausgeliefert sein, sondern sich selbst verwalten. „Dezentrale Ressourcenverantwortung“ nennt sich das.

Welche Folgen hat die neue Marktorientierung für die offene Jugendarbeit? Von mehr Betriebswirtschaft in der Sozialarbeit erhoffen sich die ReformerInnen ein Dienstleistungsangebot, das sich stärker an der Nachfrage orientiert. „Die Sozialarbeiter glauben immer, sie wissen, was für die Leute gut ist – zu oft, ohne sie zu fragen“, sagt Rodenbüsch.

Ob allerdings nach der Reform, so wie sie von PolitikerInnen in Bremen derzeit diskutiert wird, der Kunde König ist, bezweifelt sie: „Die Haushaltssperre steht im Widerspruch zu der Absicht, 1996 zu budgetieren“.

Vorerst tobt sich die Reform hauptsächlich in neuen Sprachregelungen aus. Wo früher von Jugendlichen, Armen oder Alten die Rede war, sprechen die Fachleute in Zukunft von Kunden. Was früher schlicht Teestube oder Schweißkurs hieß, erhält nach dem Willen der ReformerInnen künftig Produktbezeichnungen – was das genau heißt, konnte allerdings niemand erklären.

Manfred Kappeler von der Universität Berlin sprach in seinem Vortrag über die Professionalisierung der offenen Jugendarbeit. Er glaubt, daß der Markt als positive Metapher benutzt wird: „Sozialarbeit soll mit Hilfe einer cleanen Sprache den Geruch des Elends los werden. Aus Elendsarbeit wird „social engineering“. Die Verbalakrobatik bleibe, so Kappeler, nicht ohne Auswirkung auf die Arbeit. Die tatsächlichen Beziehungen würden vertuscht. „Jugendliche sind keine Kunden, die etwas kaufen und aus einem Angebot wählen können“. Nicht Qualitätsverbesserung ist laut Kappeler Triebfeder der Strukurreform, sondern klare Sparerwartungen. „Die Politik will Verantwortung nach unten abwälzen“.

Das könnte so aussehen: Das Parlament beschließt ein soziales Gesamtbudget. Wer genau was bekommt, können die einzelnen Institutionen unter sich ausmachen. Es beginnt die Suche nach billigen Anbietern auf dem freien Markt.

Welche Kriterien für die Auftragsvergabe letztlich entscheidend sind, macht Kappeler an einem Beispiel aus Berlin deutlich. Dort beschlossen die Bezirksämter, die Stadtranderholung zu privatisieren. Lehrer, die durch die Wende ihren Job verloren hatten, gründeten einen Verein und machten ein Angebot zu Dumping-Preisen. Die Anhänger autoritärer Erziehung und – so Kappeler – „männerbündischer Prinzipien“ stießen bei der zuständigen Sachbearbeiterin zunächst auf wenig Gegenliebe. Sie vergab den Auftrag zunächst an einen Anbieter, mit dem sie gute Erfahrungen gemacht hatte. Doch ihr Vorgesetzter erhob Einspruch: Die DDR-Lehrer böten dasselbe - und seien schließlich nur halb so teuer.

Unter dem Vorzeichen knapper Ressourcen kämen die positiven Aspekte der Reform nur zum Tragen, wenn alle Betroffenen beteiligt werden. Deshalb fordert Manfred Kappeler: „Die Jugendarbeit müßte sich politisieren und die Möglichkeiten zur Beteiligung, die das Kinder- und Jugendhilfegesetz bietet, offensiv einfordern.“

loh