Beredtes Schweigen

■ Eine Fachtagung der „projektgruppe neue musik bremen“ erkundete am Wochenende den „Kontinent des Schweigens“/ Schweigen als Öffnung zum Göttlichen

Mit sich allein zu sein, eine Musik der Vereinsamung im Austausch nur mit dem Klang zu schreiben, die Attacken des Lauten um uns auszulöschen und damit eine Achtung des Stillen und des Leisen einzufordern: Das beschreibt die Stellung des amerikanischen Komponisten Morton Feldman, dem Radio Bremen sich vor zwei Wochen mit einem Podium widmete.

Dieses Schlaglicht auf neues kompositorisches Schaffen wurde am vergangenen Wochende auf nahezu enzyklopädische Weise ausgeweitet und vertieft: Die „Präsenz des Schweigens in zeitgenössischer Musik“ war Thema der 5. Tagung der Bremer „projektgruppe neue musik“.

Schweigsam aber ging es nicht zu. Ein über zweistündiger gewaltiger Wortblock eröffnete die Tagung. Das Schweigen als neu entdeckter Kontinent in einer Zeit des Verlöschens des Sinnes, der Krise des Darstellbaren: Diese Vorstellung entfaltete der Frankfurter Anglist Klaus Reichert in seinem Vortrag. Reichert legte dar, wie das Wahre nie durch Rede zu erfassen war, sondern schon immer im Geschriebenen sich artikulierte. Als Kronzeugen führte er Augustinus an, für den das Schweigen eine Öffnung zum Göttlichen darstellte.

Zu einem anderen, kontrastierenden, auch erschütternden Aspekt des Schweigens leitete der Performance-Künstler Olaf Arndt über. Seine Ausführungen widmeten sich der freiwilligen Isolierung im schalltoten Raum und der erzwungenen im Strafvollzug.

Fast erdrückt von der Fülle der Gedanken schien das anschließende erste Konzert der Tagung. Bereits die Auswahl der vier Stücke zeigte an, daß es der Projektgruppe darum ging, das „Schweigen in der Musik“ in ihren vielfältigen Schattierungen aufzuzeigen.

Zu hören waren die Tonbandkomposition „Williams Mix“ von John Cage (in der selten zu hörenden Originalversion mit acht Lautsprechern); dasAkkordeonstück „Aus den kamalattanischen Liedern“ von Cornelius Schwehr (gespielt von Teodore Anzellotti), organisch zwischen Geräusch, Klang und Atmung schwebend; schließlich das Streichtrio „presentimientos“ von Mathias Spahlinger, das trotz der interpretatorischen Höchstleistung des „trio recherche“ etwas spröde wirkte.

Das abendliche zweite Konzert im Schauspielhaus des Bremer Theater riß eine weitere Facette auf: die Verbindung von Musik und Theater. Sprachlosigkeit in polyphoner Dichte; Gesten, zerhackt durch Flimmerlicht und Blendungen der Zuschauer; Antikommunikation bei gleichzeitiger Abhängigkeit der Akteure: Das Stück „camera silens“ von Uwe Rasch, für das sich extra ein Chor zusammengefunden hatte, machte betroffen. Ein „Gott sei dank“-Seufzer aus dem Publikum nach Ende des Stückes dokumentierte dies.

Wiederum anders, leer, nach innen gekehrt und still, erschien der Abschluß des ersten Tages: Becketts für die Bühne bearbeitetes Hörspiel „words and music“ mit der Musik von Morton Feldman.

Schweigen bedeutet auch innere Sammelung. Die Tagung in ihrer äußerst komprimierten Form bot wenig Raum dafür, wollte es aber auch gar nicht. Hier wurde versucht, durch „äußeres“ Sammeln von Texten und Stücken dem Begriff, den Absichten, dem Phänomen des Schweigens auf den Grund zu kommen. Sie lieferte dabei ein Angebot, das es gilt, im Nachhinein aufzuarbeiten, zu vertiefen.

Doch nach der Unruhe und Fülle der Informationen geriet das letzte Konzert zu einem wunderbaren Abschluß in Konzentration und Stille. Ohne Unterbrechungen von Beifall spielte das „ensemble recherche“ Werke von Lachenmann, Sciarrino, Rihm, Cage und Spahlinger, durchsetzt mit Rezitationen von Klaus Reichert mit Ausschnitten aus seiner Übersetzung des „Hoheliedes“ und Becketts „Rockaby“, die sich ungebrochen in die Musik einfügten. Dieser Abend war kein Schluß-, er war ein Ausgangspunkt.

Ulrich Matyl