Wenn Vietnamesen Heinos Liedern lauschen

■ Engagierter Ostberliner Ausländerverein „Kultur ist plural“ wird fünf Jahre alt

Herr Vu The Dung hört Heino. Doch er hört nicht nur, er lauscht geradezu andächtig. Die Kerzen sind angezündet, und Rosi bringt Tee: „Von uns hatte leider keiner eine Weihnachts-CD zu Hause, nur unser vietnamesischer Kollege.“ Rosi erzählt, daß Herr Vu nachher, wenn die Kinder kommen, Masken mit ihnen basteln will. Das Konzert der Lichtenberger Musikschule gestern sei phantastisch gewesen, schwärmt sie, und an diesem Abend steht Bauchtanz auf dem Programm.

„Kultur ist plural“ feiert Geburtstag. Es ist der fünfte für den Lichtenberger Verein, der mittlerweile zu den bekanntesten Ausländerzentren in Ostberlin zählt. „Der genaue Gründungstag war der 11. Dezember 1990“, erinnert sich die Sozialarbeiterin Ali Fatha. Begonnen hatte alles jedoch schon Monate vorher. Rosi, Rosemarie Steckhan-Özerol, erzählt über Ängste und Unsicherheiten, die die AusländerInnen im Osten nach der Wende hatten. „Besonders von den Vertragsarbeitern aus Vietnam, Angola, Mosambik und Kuba verloren viele ihre Jobs, gleichzeitig schnellten die Mietpreise in den Wohnheimen auf das Zehnfache in die Höhe. Es mußte einfach etwas getan werden, um aus dieser Lethargie herauszukommen“, erzählt Rosi.

Der Verein verstand sich von Anfang an als Interessenvertretung, als Projekt, das zur Selbsthilfe anregt, weniger Arbeit im karitativen Sinne leistet. Angehörige verschiedenster Nationalitäten, MigrantInnen, Frauen aus binationalen Ehen, vor allem ehemalige VertragsarbeiterInnen nahmen das Angbot des Vereins an. So erhielten hier vietnamesische Frauen nach vier, manchmal sechs Jahren erstmals die Chance, ein paar Worte Deutsch zu lernen. Während ihrer Arbeit an den Fließbändern von DDR-Betrieben war dazu nie Gelegenheit gewesen. Durch multikulturelle Kinderveranstaltungen, Work- und Bildungscamps für Jugendliche begannen die Begegnungen mit der nachfolgenden Generation.

Wenn es ums Antidiskriminierungsgesetz, um die doppelte Staatsbürgerschaft, ein Datenschutzgesetz für Ausländerinnen oder das Ausländerwahlrecht zumindest auf kommunaler Ebene ging – „Kultur ist plural“ gehörte zu den MitstreiterInnen. „Die ersten Jahre des Vereins waren stark politisch geprägt. Wir organisierten die Menschenkette vom Roten Rathaus zum Berliner Dom in Sachen Bleiberecht für die Vertragsarbeiter mit, fuhren gemeinsam mit vielen Vietnamesen zur Innenministerkonferenz nach Oybin“, erinnert sich Rosi.

Wie viele andere Vereine auch hangelte sich „Kultur ist plural“ von einer ABM zur nächsten. „Bis auf den heutigen Tag haben wir niemanden, der sich speziell um die Buchführung kümmern kann, um den ganzen bürokratischen Kram, die Antragsflut, die nötig ist, um ein paar Mittel bewilligt zu bekommen. Sozialsponsoring ist mangels potenter Sponsoren für viele Vereine im Osten leider immer noch ein Fremdwort.“ Probleme, über die Rosi jedoch selten spricht. Genausowenig wie darüber, daß sie statt der bezahlten sechs Stunden manchmal zwölf oder vierzehn und auch noch an den Wochenenden arbeitet. Sie ist froh, daß der Verein fünf Mitarbeiter hat, die bis April nächsten Jahres, eventuell sogar bis 1997, vom Land bezuschußt werden. Das Sozialamt schickt gelegentlich über die „Hilfe zur Arbeit“ einen Russen oder einen Bosnier vorbei. „Auch Herr Vu ist auf diesem Weg zu uns gelangt und hat jetzt die Chance, nach einem Jahr vom Sozialhilfestatus wegzukommen.“

Vom politischen Wirken des Vereins sei durch die Mühen der tagtäglichen Arbeit viel verlorengegangen, bedauert die Projektkoordinatorin. Was jedoch nicht heiße, daß man sich damit abfinden will. „Wenn jetzt beispielsweise der Verein Reistrommel keine Fördermittel mehr erhalten soll, weil Reistrommel in der Ostberliner Projektelandschaft mit seinem Engagement für die Vietnamesen zu den unbequemsten gehörte, dann werden wir dies nicht einfach hinnehmen“, kündigt Rosi an. Kathi Seefeld

Am 16. 12., 19 Uhr, lädt „Kultur ist plural“ zu einem Abend mit einem vietnamesischen Dichter und einer Sängerin in die Frankfurter Allee 225 (U-Bhf. Lichtenberg)