Vermintes Gelände

■ Der WDR auf der fieberhaften Suche nach Lösungen für die fremdsprachigen Sendungen für Hörer aus dem ehemaligen Jugoslawien. Neues Konzept ab Januar

In den Sechzigern war alles noch einfach. Das Land wirtschaftswunderte, und Arbeitskräfte aus anderen Ländern faßten dabei kräftig mit an. 1964 kamen die ARD-Intendanten überein, den „Gastarbeitern“ (so sagte und meinte man damals noch) aus Italien, Griechenland und der Türkei Sendungen in ihren Muttersprachen einzurichten. 1970 kam dann auch eine Sendung für die freundlichen Helfer aus Jugoslawien dazu. Je nach Moderator mal in Serbokroatisch oder Kroatisch-Serbisch. Was der Zielgruppe nichts machte, da sich beide Sprachvarianten allenfalls wie Dialekte unterscheiden. So lief es rund 20 Jahre lang.

Doch mit Beginn der Auseinandersetzungen auf dem Balkan geriet die Sendung unversehens ins Spannungsfeld der kriegführenden Parteien. Im Januar 92, kurz nachdem die BRD Kroatien politisch anerkannt hatte, wurde die ehemals jugoslawische Sendung geteilt. Fortan gab es täglich (über die verschiedenen Hörfunkprogramme der ARD bundesweit ausgestrahlt) ein Magazin in Kroatisch, anschließend ein gleichlanges Pendant in Serbisch.

Nach der politischen Anerkennung Bosnien-Herzegowinas erhoben dann Vertreter der hier lebenden rund 500.000 Bosnier die naheliegende Forderung nach einer entsprechenden Sendung in bosnischer Sprache. Unterstützung fanden sie in diesem Begehren beim Vorsitzenden der „Gesellschaft für bedrohte Völker“, Tilman Zülch. Ein im Juni 95 von Zülch initiierter Appell zur „Einrichtung einer abendlichen bosnischen Sendung im Westdeutschen Rundfunk“ fand zwar prominente Unterzeichner (unter anderen Rita Süssmuth), jedoch nicht die Zustimmung des WDR. In einem Schreiben vom 28. Juni, drei Tage vor seinem Wechsel auf den Intendantensessel, begründete Hörfunkdirektor Fritz Pleitgen die Ablehnung unter anderem mit der Bemerkung, daß keine eigene bosnische Sprache existiere und den Belangen der hier lebenden Bosnier in den beiden existierenden Sendungen thematisch durchaus Rechnung getragen werde.

Es folgte ein grotesker Linguistenstreit, der nur negierte, was allen Beteiligten klar war: daß es bei dem Komplex Sprache eigentlich um hochbrisante Sensibilitäten und Nationalismen auf Seiten der kriegführenden Parteien respektive ihrer in Deutschland lebenden Angehörigen ging. Schließlich war 1992 die Teilung der Sendung unter eben diesen Aspekten erfolgt.

Die Sendung blieb, wie sie war. Bis dann am 30.August der neue Hörfunkdirektor Thomas Roth überraschend mitteilte, daß der WDR die „Fremdsprachensendungen für die Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien“ noch vom selben Abend an verändern werde. Seitdem präsentiert sich die Sendung – zumindest formal – wieder als ein 40minütiges Ganzes. In der Ankündigung ist nicht mehr von Sprachen, sondern „Hörern aus Bosnien und der Herzegowina, aus Kroatien und Serbien“ die Rede, und die Sendung wird wieder von einer gemeinsamen Redaktion verantwortet. Zwar wird vor 22 Uhr weiterhin vorwiegend kroatisch, danach vorwiegend serbisch gesprochen, doch wurde in die beiden (ehemaligen) Blöcke ein „Brennpunkt Bosnien“ eingebaut, der „stärker als bisher“, so Roth in seinem Brief Ende August, „in der als Bosnisch (Serbokroatisch) bezeichneten Sprachvariante“ moderiert wird. So wurde unter dem Druck der militärischen Eskalation zumindest teilweise den Forderungen nach einer stärkeren Gewichtung des Bosnischen nachgegeben, zum anderen die 1992 vorgenommene Teilung revidiert.

Wodurch sich nun die Mitarbeiter der (ehemals) kroatischen Redaktion brüskiert fühlen und dem Sender in einem Brief vom 25.9. Rückfall in „politischen Archaismus“ und „jugokommunistische Zeiten“ vorwarfen. Das „interne“ Schreiben gelangte natürlich doch nach draußen und erschien zudem in einer kroatischen Tageszeitung. Roth schäumte und verlangte – so verlautete aus dem Umfeld der kroatischen Kollegen – die Suspendierung von freien Mitarbeitern, die den Brief mitunterzeichnet hatten.

Thomas Roth heute dazu: „Der Brief enthielt gravierende Vorwürfe, die jeglicher Grundlage entbehrten. Diese Vorgehensweise war für den Sender nicht hinnehmbar. Das habe ich intern auch entsprechend deutlich geäußert. Von Suspendierungen kann allerdings nicht die Rede sein. Freie Mitarbeiter haben danach entweder von sich aus die Zusammenarbeit aufgekündigt oder sich von dem Prozedere in Zusammenhang mit dem Brief distanziert. Die beiden festangestellten Redakteure der ehemals kroatischen Sendung gehören weiterhin der nunmehr gemeinsamen Redaktion an.“

Desungeachtet räumt Roth heute ein, was Pleitgen noch Mitte des Jahres nicht öffentlich äußern wollte: daß die 92 vollzogene Trennung der ehemals jugoslawischen Sendung in eine kroatische und eine bosnische „rückblickend ein Fehler“ war. In diesem Sinne wird die Sendung ab Beginn kommenden Jahres unter dem Titel „Forum Südosteuropa – Eine Sendung für den Frieden“ daherkommen. Verrät schon der Name das angestrengte Bemühen um größtmögliche Ausmerzung aller ethnischen und nationalen Eigenheiten, wird auch hier redaktionell verstärkt auf Integration gesetzt: einheitlicher Nachrichtenblock (bisher noch ein kroatischer und ein serbischer), ein gemeinsames Magazin über den „Lebensmittelpunkt Deutschland“ und schließlich regionale Fenster, in denen sämtliche nationale Sprachen und Belange vorkommen sollen. Daß diese Maßnahme den Beifall aller Beteiligten finden wird, scheint indes so fraglich wie der Frieden auf dem Balkan. Reinhard Lüke