Wühltisch
: Das gute Service

■ Eine Familie ist erst mit „Rosenthal“-Geschirr komplett

Zu Hochzeit und Taufe hält man sich besser an feine Ornamentik oder Goldapplikation. Die Konversationslinie verläuft in der Regel an der erlesenen Ätzkante, die wegen ihres aufwendigen Herstellungsverfahrens übrigens zu den Höhepunkten der Porzellankunst gerechnet werden darf. Nichts symbolisiert die Familie treffender als das gute Geschirr. Der Kummer ist groß, wenn ein Stück des geschlossenen Ensembles in die Brüche geht. Das Einzelstück gilt prinzipiell als wertvoll und unersetzlich. Vorm Hinzukauf aus der noch im Handel erhältlichen Serie stehen ungeschickte Rettungsversuche mit Sekundenkleber. Die Verwendung des guten Geschirrs war seit jeher eucharistisch. Die meiste Zeit im Schrank, deckt man es feierlich auf für erbetene Gäste.

Ein Spießer, wer Mamas Gutes spießig findet. Zwischenzeitlich war von Gitterrelief und Blütenkantendekor in Weiberräten und anderen Kränzchen weniger die Rede. Statt dessen flog manch ein Aussteuerstück durch die kalte Küche des Geschlechterkampfes. Mittlerweile sorgen sich Ersatzväter um den grazilen Flügelschlag der Henkeltassen, wenn die Kleinen alleinerziehender Mütter diese in den Geschirrspüler bugsieren. Es scheint, als haben die Arzbergs, Hutschenreuthers und Rosenthals besser in die Moderne gefunden als die Keimzelle der Gesellschaft. Design oder Nichtsein, ist das – mal ehrlich, Frau Nolte – noch eine Frage?

Rosenthal zum Beispiel unterscheidet zwischen „classic“ und „studio-linie“ (deutsch gesprochen und nicht zu verwechseln mit dem ähnlich klingenden Haarstylingmittel). Der Italiener Aldo Rossi hat für letztere eine kleine Tischarchitektur entworfen, in der Kaffeekannen aussehen wie Leuchttürme, Zuckerdosen wie Strandhäuser und Salzstreuer wie Obelisken. Das fördert nicht zuletzt den Spieltrieb von Kindern, die bereits mit der Vielfalt europäischer Küsten und Strände vertraut gemacht worden sind. Dorothy Hafner hingegen setzt auf dynamische Formen, die auf New Yorker Stadtlandschaften anspielen. „Flash“, so heißt es, sei pure Lebensfreude zu jeder Tageszeit, deutet andererseits aber auf übertriebenen nächtlichen Testbildkonsum, während „Asimmetra“ von Björn Wiinblad an intensiven Rauschmittelgenuß erinnert.

Angesichts des grassierenden Design-Wollens kann der Hinweis auf eher puristische Bauhaus-Größen nicht schaden, die bei ihrer hartnäckigen Suche nach schönen, zweckmäßigen und zugleich preiswert herzustellenden Formen keineswegs zu träumen vergaßen, wie ein Satz Wilhelm Wagenfelds belegt. Eine Kanne sei erst dann vollkommen zweckmäßig, meinte Wagenfeld, „wenn sie nicht allein gut gießt, den Deckel hält und sicher steht, sich leicht reinigen läßt und bequem zu handhaben ist. Hierüber hinaus müssen diese Vorzüge einen schönen Gebrauch hervorrufen, damit wir den Händen, welche uns den Tee einschenken, gern zusehen.“ Schön gesprochen.

Das gute Service, so jedoch mein Verdacht, ist gediegener Klassik, allenfalls einer gewissen Rokokoanmut verpflichtet. Ein auf Familientradition setzender Hersteller wie Rosenthal garantiert denn auch die ewige Produktion seiner klassischen, natürlich spülmaschinenfesten Serien. Was man von den Neuheiten nicht sagen kann. Das grün- schwarze Ensemble „Frisco“ fand offenbar nicht den gewünschten Anklang beim Kunden und läuft in diesem Jahr aus. Etwas beschämend war es dann doch, als Schwiegermutter neulich gutmeinend frohlockte, sie habe für uns noch einige Einzelstücke im Ramschverkauf erstanden. Harry Nutt