„The Voice“ wird heute 80 Jahre alt. Frank Sinatra , der Mann, der mit seinem Gesang die erste Fanhysterie in der neuen Musikgeschichte provozierte, hat immer gewußt, was die Leute anrührt. Und was gut fürs Geschäft war. 50 Millionen Tonträger hat der Sohn sizilianischer Einwanderer verkauft, wenige Hits, dafür umso mehr Standards: zivile Musik, die nur Privates gelten ließ Von Jan Feddersen

Frankie did it his way

Es war terminlich nicht anders einzurichten gewesen. Schon am 19.November versammelte sich die Crème des amerikanischen Showbusiness im Shrine-Auditorium zu Los Angeles, um einem Mann zu huldigen, der erst heute Geburtstag hat. Doch erstens hatte Frank Sinatra seinen 80. im eher privaten Kreise begehen wollen, und zweitens hieß seine Plattenfirma die vorgezogene Show auch wegen des Medienrummels um „The Voice“ gut. So was belebt das Geschäft, was wiederum ganz im Sinne Sinatras ist: „Geld“, hat der Mann, der mit seinem Gesang die erste Fanhysterie in der neuen Musikgeschichte provozierte, einmal gesagt, „Geld beruhigt, Geld ist immer gut – wenn man es hat.“

Die Geburtstagsgala kam einer Verbeugung schwarzer, jugendlicher und ewigjunger Musiker vor dem Mann gleich, dessen Kunst noch vor dreißig Jahren als etabliert, unmodern, schmalzig abgelehnt wurde. Daß Tony Bennett, Barbra Streisand, Arnold Schwarzenegger, Luciano Pavarotti, Placido Domingo, Tom Selleck und Gregory Peck gratulieren würden, war klar: Sie bedienen – zugereist oder nicht – das weiße, gediegene Amerika. Überraschend war eher, daß Bruce Springsteen die Show moderierte, Natalie Cole ebenso ihr Ständchen brachte wie Paula Abdul, Little Richard, Ray Charles, Salt'n'Peppa, Bono, Bob Dylan, Hootie & The Blowfish und Patti Labelle.

Es war eine Geste der Ehrerbietung – wie von aufmüpfigen Kindern, die zu Weihnachten nach Hause reisen, um dem Vater nicht erst am Sterbebett zu versichern, daß der Protest gegen ihn zwar ernst, aber nicht unversöhnlich gewesen sei; daß man schon noch weiß, wer der pater familias ist – auch wenn der eigene Weg lange über die Abgrenzung führte. Patti Labelle beispielsweise, eine der Souldamen aus der ersten Riege schwarzer Musik, sang bewegend von einem Zauberwort, das für sie gelte – und für ihn gegolten habe: democracy. Es bedeute, daß Kinder einen Platz zum Spielen haben, die Menschen nicht hungern und daß alle, egal welcher Hautfarbe, friedlich zusammenleben sollten. Das war der einzige Beitrag des Abends, nach dem Frankie-Boy zur Standing ovation aufstand und gerührt seiner Kollegin die Hand küßte.

Alle lobten artig, erinnerten daran, wie bedeutend Sinatra für ihr Leben war. Springsteen pries den Blues in der Stimme und daß „Ol' Blue Eye“ ein echter Poet New Jerseys, der Vorstadt New Yorks, sei; Bennett behauptete, Sinatra sei für die amerikanische Populärkultur das, was Toscanini für die klassische Musik war; die jungen Damen von Salt'n'Peppa teilten in aufgeräumtester Stimmung durch ihre Mikros mit, daß er für sie wirklich der allerbeste Stranger in the Night sei. Die gemeinsame Tonlage ist klar: Was Mitte der Neunziger zählt, sind nicht Abgrenzungen, sondern Erzählungen darüber, was die Leute bewegt – eine Art Geste des Respekts vor einem, der auch nichts anderes tat, als künstlerisch gut über die Runden zu kommen.

Was die Leute anrührt, hat Sinatra in der Tat feststellen dürfen während seiner nun seit Anfang der vierziger Jahre dauernden Karriere: Als Sprößling eines keineswegs (wie die Legende schreibt) ärmlichen Elternhauses 1915 geboren, wollte er ursprünglich Journalist werden. Doch der Teenie, der in seiner Heimatstadt Hoboken allen erzählte, wie gern er berühmt werden würde, sang lieber. Seine Stimme hätte für damalige Standards kaum gereicht, auch nur die hinteren Reihen des Parketts zu erreichen. Schön klang sein Bariton, aber zu dünn. Zur Hilfe kam ihm eine Erfindung, ohne die die Popmusik nie wirklich populär geworden wäre: das Mikrophon. Plötzlich war es auch ohne ein Stimmvolumen von mehreren Oktaven möglich, einen Saal zu unterhalten, zu phrasieren, ohne daß es schepperte und krächzte.

Sinatra gehörte zu den ersten, die diese Formulierungshilfe nutzten. Während andere seines Alters im Pazifik oder in Europa an der Front kämpften, fightete der Sänger zu Hause um die Gemüter der Heranwachsenden. Der Mann mit dem „verruchten Timbre“ (Springsteen) war der Sänger, der nicht nur Blumen auf die Bühne geworfen bekam, sondern auch Unterhöschen und Strümpfe. Er war der erste Schlafzimmersänger der Popgeneration (ohne daß es diesen Begriff schon gab).

Zum Sinatra-Bild gehört aber auch eine Portion Verletzlichkeit. Die Times schrieb Ende der Vierziger fassungslos wie zutreffend über seine Ausstrahlung: „Hier haben wir einen Künstler, der zwar aus dem wildesten, selbstsichersten Volk stammt, das die Welt überhaupt kennt, der sich aber trotzdem entschlossen hat, jener Schüchternheit Ausdruck zu verleihen, die auch aus der prahlerischsten Seele nie vertrieben werden kann. All jenen, deren Männlichkeitsideal aus Kraft, Stämmigkeit und Selbstsicherheit besteht, wagt er zu bedeuten, daß so ein Mann unter seiner drückenden Überheblichkeit noch immer ein furchtsames Kind ist, das im Dunkeln vor Angst weint.“

Der Rest des Weges ist bekannt: Sinatra verkaufte 50 Millionen Tonträger, intonierte nicht nur, sondern riß die Kompositionen und Texte an sich. Sinatra hatte nur wenige Hits, dafür umso mehr Standards: „The Lady is a Tramp“, „I've got you under my skin“ (beide 1956), „My Way“ (1969), „New York, New York“ (1976) oder auch „Strangers in the Night“ (1966). Es war und ist zivile Musik, die nur Privates gelten ließ, keine höheren Zwecke im Visier hatte und immer persönlich verstanden werden wollte – und wurde. Er machte kein Hehl darauf, daß er nicht alle Geschichten selbst erlebt hat, von denen er singt, aber in den fünf Minuten seines Vortrags ließ er nie einen Zweifel daran, daß es sich so zugetragen haben könnte. Er lieferte keine Gefühle, sondern Vorstellungen von Gefühlen: Und das Publikum sog diese Vorschläge auf wie von keinem sonst.

„My Way“: Kein anderes Lied gehört so sehr ihm – obwohl es im Original aus dem Französischen stammt und im Englischen von Paul Anka getextet wurde. Es kommt einem Bekenntnis gleich: Was mir aus den Fingern glitt, alles, was mein Leben ausgemacht hat – es war mein Leben. Eines mit den halbseidenen Teilen der Gesellschaft, eines mit Whisky, Weib und Gesang – und das auch noch in solchen Dosen, daß nie Entzugstherapien nötig waren.

Verziehen ist mit diesem Geburtstag nicht nur all die machohafte Penetranz, mit der Sinatra auch außerhalb der Bühne gern den Starvögler herauskehrte, vergessen ist auch seine Vorliebe für schnelle Lösungen in der Politik, seine Verteidigung des Vietnamkriegs, sein Wahlkampf für den Republikaner Nixon und – als Mitglied der Demokraten! – gegen deren Bewerber McGovern. Kein böses Wort mehr über seine Cowboymentalität (erst schießen, dann sprechen), geschenkt auch seine Vorliebe für mafiotisch angehauchte Geschäfte und das darum herumgestrickte Familienmilieu. Mild oder gaga, je nach Geschmack, nimmt er die Grußeshymnen entgegen – freundlich, gütig, väterlich, sogar charmant.

80 Jahre Sinatra bedeuten am Ende aber auch acht Jahrzehnte Karriere eines Sohnes von Einwanderern aus Sizilien. In Amerika reicht das, um von allen als nicht gescheiterter Vater geliebt zu werden.