: Sonst kommt Meppen
■ Aus gegebenem Anlaß: Eine taz-Expertenrunde fordert Piontek, Völler, Kuntz
Es ist stets dieselbe Kneipe, oft dieselben Leute, immer dasselbe Thema. Nur diesmal dramatischer. Diesmal wollen echte existenzielle Probleme gelöst werden. Platz 14! Das sagt alles, das weckt patriotische Gefühle, das fordert uns geradezu heraus, dem bedrohten Bremer Fußball mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Doch die Zeit drängt. Es muß gehandelt werden! Jetzt! Sonst kommt Meppen.
Ursachen der Krise: 1. Ottokratische Erblasten
Der große Rehhagel hat einen Trümmerhaufen hinterlassen. Der relative Erfolg hatte die strukturellen Schwächen der Mannschaft zugedeckt, die jetzt zum Niedergang beigetragen haben. Aad de Mos hat eine schlecht trainierte Mannschaft vorgefunden, die nur eines konnte, den immergleichen Striemel zu spielen.
Der funktionierte, so lange Rune Bratseth in der Hintermannschaft Ordnung hielt und vorne entweder Ausnahmestürmer wie Völler oder torgefährliche Mittelfeldleute wie Basler oder Bode die Tore machten. Der Rest war Arbeit, für die vor allem Puste gebraucht wurde. Genau die ist der Mannschaft gegen Ende der letzten Saison ausgegangen. Die spielerischen Mittel, das aufzufangen, gab es nicht.
Dazu kam: Rehhagel hinterließ seinem Nachfolger gerade mal Spielraum für eine Neuverpflichtung, dafür einmal große Klasse (Cardoso, dessen Eingewöhnungsschwierigkeiten aber vorhersehbar waren), einmal Mittelmaß (Scholz) und einmal Kreisklasse (Vier). Bestenfalls genug für das Mittelmaß der Tabelle.
Experte Mützelburg faßt zusammen: „Überaltert, zu langsam, keine intelligente Spielkultur.“
Ursachen der Krise: 2.
de Mosismus
Da ist ein mittelschweres Drama zu beklagen. Der Blick über die Ligagrenzen hinaus läßt uns ahnen, daß Aad de Mos genau den Fußball repräsentiert, den wir wollen. Schnell, modern, flexibel, technisch auf hohem Niveau – eben Ajax Amsterdam. Aber ach, der Wille allein genügt eben nicht. Erstens fehlen ihm zu einer schnellen Umsetzung die Spieler (wir sagen nur: Schulz), zweitens scheint die Bundesliga für de Mos immer noch terra incognita zu sein (wie gut hatte er die Mannschaft auf Eindhoven eingestellt, wie schlecht gegen Köln), und drittens, das wiegt am schwersten, seine Art der Kommunikation scheint die Mannschaft eher komplett zu verwirren, als spielerisch zu befruchten.
Experte Langlot wird nicht müde, vom Besuch der Werder-Mannschaft auf dem Freimarkt zu berichten. Dortselbst haben sich die Spieler nämlich abendfüllend über ihren Trainer amüsiert. Ein schlechtes Signal. Aber viel wichtiger ist: Von einer Mannschaft kann kaum noch die Rede sein. Elf Einzelspieler rennen mehr oder weniger Zusammenhanglos über den Platz. „Da weiß keiner mehr, wo der andere hinläuft“, hat der Experte Heck beobachtet. Das Resultat von einem halben Jahr Trainerarbeit lautet: de Mos will möglicherweise das Richtige, nur offensichtlich kann er es nicht vermitteln. Und genauso offensichtlich ist er nicht in der Lage, sein System umzustellen oder zumindest so behutsam einzuführen, daß die Spieler auch kapieren und umsetzen können, was er will. De Mos trainiert eine Mannschaft, die er sich im Kopf ausdenkt und nicht die, die er hat. „Und außerdem ist er unsympasthisch“, meint der Experte Pulß abschließend. „So einer kann eine Mannschaft nicht motivieren und mitreißen.“
Ursachen der Krise: 3.
Die Große Koalition
Der enge Zusammenhang von Fußball und Politik ist sowieso bewiesen und oft und oft besungen worden. Reformstimmung im Land und kreativer Fußball sind siamesische Zwillinge. Willy Brandt und Günther Netzer, oder, um ein Negativbeispiel zu nennen Jürgen Kohler und Helmut Kohl.
Kaum war die Große Koalition in Bremen an der Regierung, schon hat Werder die Meisterschaft vergeigt und die mieseste Hinserie aller Zeiten hingelegt. Und die Hoffnungsträger auf beiden Seiten entpuppen sich innerhalb kürzestzer Zeit als Problemfälle. Junior Baiano ist der Henning Scherf von Werder. Immer für ein Eigentor gut. Soll heißen: Mehr als fußballerisches Mittelmaß ist in der nächsten Zeit nicht zu haben, aber das will schließlich auch erstmal erreicht sein.
Die Lösung
Werder muß sich über die Rückrunde retten, und dann braucht es über ein paar Jahre Mut und Durchhaltevermögen zum Aufbau. Aber jetzt in der Winterpause müßen Personalentscheidungen gefällt werden.
Gleich vorweg: Den vielgescholtenen Baiano zu verkaufen ist keine Lösung. So lange Dieter Eilts Libero spielen kann, ist das Problem zumindest entschärft. Und das Problem Basler ist erstmal auch keines mehr. Der wird sowieso jetzt operiert und für die ersten Spiel ausfallen. Das gibt Cardoso die Luft zum Atmen, die er als Spielmacher braucht. „Die Mannschaft muß sich gedanklich von Basler lösen“, meint der Experte Pulß.
Dringend braucht die Mannschaft aber Verstärkung, sowohl psychologische, als auch spielerische. Die Mannschaft braucht Erfahrung, Kompetenz und Aufbruchstimmung. De Mos kann das offensichtlich nicht durchsetzen.
Wir fordern Sepp Piontek. Der kennt erstens den deutschen Fußball, zweitens hat er gezeigt, daß er was vom modernen Fußball versteht, weil er drittens aus der dänischen Nationalmannschaft erfolgreichen und schönen Fußball herausgekitzelt hat. Piontek, das wäre die Aufbruchstimmung und Kompetenz, und wieviel mehr wäre sie, wenn ER zurückkehren würde. Rudi muß wieder her! Sofort. „Wenn ich noch eine Saison dranhänge, dann in Bremen“, hat der Mann am Sonntag ins SAT 1-Mikro gesagt. Wenn das keine Aufforderung ist! Und sowieso muß Stefan Kuntz aus Istanbul geholt werden.
Zwei torgefährliche Reißer, die mit dem Ball was anfangen können, und dazu ein Klassetrainer – das reicht für Platz acht. Mehr wollen wir ja gar nicht, erstmal. Weil sonst kommt Meppen. Jochen Grabler
Foto: Björn Haake
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