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: Inkurs über Herrenoberbekleidung

Für Herrenkleidungs-Forscher gibt es kein lohnenderes Objekt als die Garderobe der amerikanischen Präsidenten, meint Status- Analyst Paul Fussell: „Als Grundprinzip gilt hier, daß das Jackett mit zwei Knöpfen proletarischer ist als das dreiknöpfige Modell des Ostküstenestablishments. Die meisten Präsidenten haben ursprünglich die Zweiknopfvariante bevorzugt, doch sobald sie die Führungsrolle der freien Welt übernehmen, fühlen sie sich verpflichtet, auf das Dreiknopfsakko umzusteigen und ihr Äußeres dem des Vorstandsvorsitzenden der Chase Manhattan Bank anzugleichen. Aus diesem Grund sah Richard Nixon meistens so gequält aus. Er hatte sich wohl gefühlt in dem gutsitzenden Zweiknopfanzug, den man als Direktor einer Kreissparkasse unbeschadet tragen dürfte. Obwohl ebenfalls im zweiknöpfigen Markenzeichen der Provinz aufgewachsen, hat sein Nachfolger Gerald Ford, der leichter formbar und auch lernfähiger gewesen sein dürfte, den dritten Knopf mit einer gewissen Plausibilität zu tragen gewußt...“

Genau diese fehlte mir plötzlich, als ich neulich hinter einer Dänin den Laden eines indischen Schneiders in Bangkok betrat. Noch schlimmer wurde es, als ich die Kataloge durchblätterte. Doch die Dänin („Habe die Öre!“) ermunterte mich zur Stoffauswahl. Ich entschied mich fürs Klassische – Nadelstreifen in Kaschmir, was auch ihr dann gut gefiel, insbesondere nachdem ich es neben einigen dickbäuchigen Lufthansapiloten, ebenfalls zum Anzugerwerb dort, probegetragen hatte. Einer plötzlichen Eingebung folgend, änderte ich jedoch das zweiknöpfige Modell in drei – mit der albernen Begründung gegenüber dem turbantragenden Maßnehmer: „In Deutschland ist es kälter als hier!“ Er dachte sich sein Teil, hielt dann aber auch seinerseits nicht mit albernen Begründungen zurück: Warum derzeit zum Beispiel wieder Bundfalten angesagt seien, Umschläge dagegen out, dito der Schlitz hinten im Jackett.

Anfang der Sechziger hatte ich für Nixon und gegen Kennedy gewettet. Wohl ahnend, daß letzterer bloß ein von allen überschätzter Sonnyboy war („Mit dem Geld hätte auch mein Dackel die Präsidentschaftswahl gewonnen“, so Kennedy senior nach dem Sieg seines Sohnes) – aber mein Votum für Nixon steckte voller kleinbürgerlicher Ressentiments und instinkthafter Verkitschung von Ekel-Losern. Jetzt fühlte ich mich jedoch sogar schon den Lufthansa-Piloten gewachsen – rein staturmäßig bereits – und brauchte deswegen den spontanen Dreiknopf- Wunsch nicht zu bereuen: Erst einmal war ich damit „zu Hause“ aber overdressed, und neben dem sofortigen Erwerb eines passenden Kaschmir-Mantels hätte ich fast auch noch Socken, Schuhe, Hemd und zuletzt meine gesamte Wohnungseinrichtung ausgetauscht – und mich damit in den völligen Ruin „rundumerneuert“ (siehe dazu den Film „Clueless“).

Aber auch so gab es genug Überraschungen: Punkerinnen bettelten mich ostentativ nicht mehr an. Dafür suchten auffällig viele gläubige ältere Türken vor ihren Gebetshäusern das Gespräch mit mir. Sämtliche Recherchen bei Immmobilienfirmen endeten damit, daß ich von den Betroffenen in teure Restaurants eingeladen wurde. Ein jugoslawischer Makler bat mich, ihm zu helfen, eine querulatorische Westend-Witwe, die mit dem Mieterschutzbund drohte, einzuschüchtern, indem ich als solventer Käufer – mit Eigenbedarf – auftrat. Das tat ich dann auch: nur mit dem Dreiknopfanzug angetan, das heißt ohne ein Wort zu sagen. Dafür lud mich der Makler zum Griechen ein.

Alle VerkäuferInnen waren plötzlich viel freundlicher zu mir als früher – im Zweiknopfjackett von Humana. Bis auf einen Künstler bei der Endart-Vernissage, der meinte: „Aus Bangkok? Das sieht man! Sieht scheiße aus!“ Das nahm ich jedoch nicht ernst: Er trug einen dreiknöpfigen Anzug, den er in Warschau hatte fertigen lassen, und dazu eine Krawatte mit bunten Klecksen, deren „Botschaft“ – nach Paul Fussell – „Seht her, ich bin ein fröhlicher Bursche!“ lautet. Helmut Höge

wird fortgesetzt