Gesucht wird: Eine Narbe

■ Pro 7 fahndet auf den "Straßen von Berlin", die taz überwachte die Ermittlungen (20.15 Uhr, Pro 7)

Uwe Ochsenknecht stromert suchend über den Zeedijk, späht nach den Straßenschildern und biegt in eine kleine Seitengasse. Soweit geht alles gut, obwohl ohne Absperrung gedreht wird und Passanten ungehindert ins Bild laufen. Die Amsterdamer sind Filmteams offenbar gewohnt, niemand wendet sich um, um neugierig in die Kamera zu starren. Plötzlich aber donnert mit lautem Hallen ein bejahrtes Motorrad durch die Szenerie. Der Tonmeister winkt ab, das war's dann. Die Einstellung muß wiederholt werden.

Im malerischen Viertel zwischen Achterburgwal und Nieuwmarkt mit seiner besonderen Mischung aus Rotlichtmilieu, emsigem Einkaufstreiben und stiller Grachtenidylle, wo schon der niederländische Krimiautor Janwillem van de Wetering seine beiden Helden Brigadier de Gier und Adjutant Grijpstra den „Tod eines Straßenhändlers“ (rororo 2464) aufklären ließ, drehte die deutsche Produktionsfirma novafilm im vergangenen Herbst einige Szenen für den Film „Dunkelrote Rosen“, der zweiten Episode der neuen Pro-7- Serie „Die Straßen von Berlin“. Weitere Schauplätze waren die Reguliersgracht und der Blumenmarkt. Und nicht nur in diesem Fall führten Berlins Chausseen bis weit über die Grenzen der Bundeshauptstadt hinaus – zusätzliche Aufnahmen entstanden unter anderem in St. Petersburg, Warschau und Marseille.

Nach „Alles außer Mord“ hat sich Pro 7 ein weiteres Mal an ein Krimiformat mit abendfüllenden Episoden herangewagt. Der Pilotfilm „Babuschka“ führt geradenwegs aufs Tätigkeitsfeld jener Berliner Sonderkommission zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens, deren Arbeit in den nächsten fünf Wochen noch für spannende Momente sorgen wird. Zur Gruppe gehören Spezialisten verschiedener Disziplinen: geriebene Undercoveragenten, ein Computerfuchs, ein versierter Abhörfachmann. Die Leitung der Operationen obliegt einer ehrgeizigen Staatsanwältin, die in dem Anführer der staatlich beauftragten Straßenjungs unvermutet einen früheren Liebhaber wiedertrifft. Haupt- und Gastrollen der Serie sind prominent besetzt. Jennifer Nitsch, Peter Lohmeyer, Hermann Treusch und Dietrich Mattausch gehören neben dem einmal mehr plattweg als Ekelpaket getypecasteten Martin Semmelrogge zur Stammbesetzung. Hannes Jaenicke ist bis zur vierten Episode dabei; Uwe Ochsenknecht – als Hajo Kroll eine auf beiden Seiten des Gesetzes agierende Figur – war hingegen ursprünglich nur für den Pilotfilm eingeplant und findet während eines dienstlichen Ausflugs nach St. Petersburg auch beinahe ein unrühmliches Ende. Weil Ochsenknecht sich jedoch mit seiner Rolle angefreundet hatte, blieb er der Soko bis auf weiteres erhalten.

Es bedurfte allerdings eines kleinen erzähltechnischen Kniffs, seinen vorzeitigen Tod noch abzuwenden: Zwar wird ihm von einem hinterhältigen Mordbuben die Kehle durchgeschnitten, doch heilt die häßliche Wunde schnell und ist im zweiten Teil bereits tadellos vernarbt. Nur die Stimmbänder müssen fürderhin ein wenig geschont werden. Das weiß zu schätzen, wer Ochsenknecht je singen hörte. Die Produktion bot den genreerfahrenen Regisseuren Werner Masten und Pete Ariel Gelegenheit, großes Kaliber aufzufahren, im übertragenen wie im wörtlichen Sinne. Schon zu Beginn des Pilotfilms gibt es zwischen schwer armierten Goldschmugglern und den nicht minder gerüsteten Soko-Beamten eine wüste, gefällig choreographierte Schießerei, die den Vergleich mit amerikanischen Produktionen kaum zu scheuen braucht: Die Kugeln fliegen tief, als wollten sie Schlechtwetter ankündigen, Schnellfeuergewehre spucken Garben in die Nacht, Funken sprühen, und der Chor der Querschläger pfeift schrill das Lied vom Tod.

Mit sorgsam komponierten Bildern, kinogerechten Action-Sequenzen und der wohl ungewöhnlichsten Titelmusik seit Erfindung des Fernsehkommissars, unterscheidet sich diese Serie einigermaßen vom deutschen Krimieinerlei. Obendrein wurden die schillernden Hauptfiguren mit Viten ausgestattet, die dem musterhaften Kollegen Derrick die schweren Lider von den Augen reißen würden: Die promovierte Staatsanwältin Starnow blickt auf eine Drogen- und andere trübe Vergangenheiten zurück, der lotrechte Gerechtigkeitsfanatiker Kroll ist spielsüchtig und lädt sogar einen Mord auf sein Gewissen. Für den forschen Fahnder wird die Sache noch vor Ablauf der Staffel böse enden, für den Darsteller Ochsenknecht hingegen nicht: Er steht zur Zeit für eine ähnlich angelegte Hauptabendserie der ARD vor der Kamera – in der internationalen Koproduktion „Die Gang“ spielt er unter der Regie von Hajo Gies und Ben Verbong neben Moritz Bleibtreu, Peter Franke sowie den US- Serienstars Dustin Nguyen (21, Jump Street“) und Stacy Keach („Mike Hammer“) den Leiter einer in Hamburg tätigen Spezialeinheit namens „Sonderermittlungsgruppe Hafen“. Anfang 1997 wird man sehen, was dabei herausgekommen ist. Harald Keller