Österreichs explosiver Wahlkampf

Sechs Tage vor den Wahlen knallt es in Österreich. Die fünfte Attentatserie von Neonazis hat begonnen. Die Ermittler glänzen mit Pannen. Am Dienstag flogen der Polizei zwei sichergestellte Briefbomben beim Abtransport um die Ohren.

In diesen Tagen, die auch in Wien trüb und kalt sind, wollte das Innenministerium eigentlich per Pressemitteilung eine Briefbombenwarnung versenden. Nur zur Vorsicht. Denn auch letztes Jahr waren exakt eine Woche vor der Nationalratswahl Briefbomben aufgetaucht. Doch dann krachte es am Montag ohne amtliche Vorwarnung, diesmal in Graz. Noch im Briefkasten war der Sprengsatz explodiert.

Zwei der vier kunstvoll mit Plastiksprengstoff und Kleinstelektronik gefüllten Briefumschläge detonierten, vermutlich wegen der Kälte, vorzeitig. Die Bombenbauer wollten sichergehen, daß ihre Briefe unentschärft bis zu den Adressaten kommen: Sie bauten Kältefallen ein. Das sollte verhindern, daß die Sprengstoffexperten des Innenministeriums wie bisher die Bomben tiefgekühlt entschärfen. Doch im Briefkasten in Graz waren es morgens fünf Grad unter Null. Das ist auch das einzig Erfreuliche an diesem Fall: Die Minustemperaturen haben vier Menschen vor schweren Verletzungen oder dem Tod bewahrt. Bisher hat der Bombenterror vier Menschen getötet, 13 verletzt.

Wieder waren die Adressaten sorgfältig gewählt: Die Öffentlichkeitsarbeiterin des UN-Flüchtlingshilfswerks in Wien, eine Familie indischer Abstammung, die im Sommer im TV zu sehen war, und die Mutter des Sängers „Ostbahn- Kurti“. Die Absender waren allesamt fingiert und sollten Vertrauen einflößen: Einen Brief hat angeblich der Neffe abgeschickt, den anderen ein ORF-Journalist namens „Neuwirth-Nachtmann“. Der Rechtsextreme Edwin Neuwirth hatte einst Schirinowski bei sich beherbergt, Herwig Nachtmann ist Herausgeber der rechtsextremen „AULA“. Beide sind wegen der „Auschwitz-Lüge“ verurteilt.

Es ist schon merkwürdig: Alles, was mit den Bombenbriefen zu tun hat, scheint den Behörden zu mißlingen: Der Briefbombenprozeß, bei dem zwei Neonazis wegen der ersten Serie angeklagt sind, entwickelt sich zur Farce (taz vom 5.12.). Ansonsten fehlt jede heiße Spur. Und dann auch noch das: Am späten Montag abend explodierten die beiden sichergestellten unversehrten Umschläge aus Versehen auf dem Transport nach Wien ins Hauptquartier der Anti- Terror-Ermittler. Alle Spuren sind damit gründlich beseitigt. Für die jüngste Briefbombenserie zeichnet wie bei den Anschlägen zuvor wieder ein Kampftrupp der „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ verantwortlich, diesmal unter dem namen „Markgraf Luitpold“.

Wer dahinter steckt, weiß niemand. Zu Details der Briefbomben-Ermittlungen gibt es eine Nachrichtensperre. Nur eines ist sicher: Der oder die Täter sind Bombenexperten, mit Geschichtsbüchern gut vertraut – und vielleicht sogar mit den Bombenermittlern.

Sogar Innenminister Caspar Einem (SPÖ) will nicht mehr ausschließen, daß es in seinem Ministerium undichte Stellen gibt. Zu oft sind Akten verschwunden, Details aus geheimen Bekennerbriefen bekannt geworden. Erste Ermittlungen gegen einen Beamten mit guten Kontakten zu rechten Kreisen sind im Gang. Die rechte Verstrickung hat Tradition. Bei den letzten Personalratswahlen im öffentlichen Dienst schnitt die Haider-Gewerkschaft „AUF“ in Polizeikreisen am besten ab.

Österreich, zwei Jahre nach der ersten Bombenserie, einen Tag nach der letzten Detonation, sechs Tage vor der Wahl. Die Nebelglocke, die sich im Herbst fast täglich von der Donauniederung her über Wien legt, scheint größere Emotionen zu lähmen. Aufregung ist ungesund. Vielleicht treibt deshalb Jörg Haider mit seinen Freiheitlichen als einziger die öffentliche Diskussion vor sich her. Mit seinem Kulturkampf gegen ungebührliche „Staatskünstler“ und abzockende „Spitzbuben“ schürt er den Sozialneid. Und das Schutz- und Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung steht im Kleinstaat Österreich sowieso über allem.

Die übrigen vier Parteien können da nur hinterherhecheln: Die Sozialdemokraten unter Bundeskanzler Franz Vranitzky sind erst aus der Behaglichkeit des jahrzehntelangen Regierungstrotts aufgewacht, als der Koalitionspartner ÖVP im Oktober die Große Koalition kündigte und Neuwahlen erzwang. Und ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel überzeugt einzig durch sein „Mascherl“: Wer in Österreich als Außenminister Fliege statt Krawatte trägt, braucht sich um Publicity keine Sorgen mehr zu machen.

Nur im Fernsehen, da haben sie alle aufeinander eingeschlagen. Ein Wahlkampf der TV-Duelle, das ist neu, damit kann man die Menschen hier noch begeistern. Im Land der zwei Fernsehprogramme gibt es noch 80 Prozent Marktanteil, wenn Jörg Haider der Grünen- Chefin Madeleine Petrovic live aus Geheimakten der Polizei vorliest, den Grünen nahestehende Gruppen seien des Terrorismus verdächtig. Auch das hat man leicht empört eben so hingenommen.

In den letzten Wochen hat Frau Petrovic allerdings wiederholt ihre Handy-Nummer ändern müssen: Die Drohanrufe verfolgen sie bis ins Parlament. Was hilft es da, wenn Liberalen-Chefin Heide Schmidt zur Glaubwürdigkeit im Wahlkampf aufruft. Wenn sie Glück hat, kommt sie mit ihren Getreuen bei der Wahl am Sonntag gerade über fünf Prozent. Haider steht derzeit bei 30 Prozent. Daniel Asche, Wien