Sanssouci
: Nachschlag

■ Musenkuß und Adorno: Odysseus in der Literaturwerkstatt

Die Alten begannen ihre Epen mit einer Verbeugung vor den Musen. Ohne den göttlichen Kick sei man gar nichts, gaben die antiken Dichter bereitwillig zu. Auch Walter Grond, Jungschriftsteller aus Österreich und ganz der Antike verpflichtet, gab am Dienstag in der Literaturwerkstatt zunächst die Quelle seiner Inspiration bekannt: Simmel, Adorno und ihre Brüder, dazu die französische Postmoderne – alle tauchen in Gronds Ästhetik- Mix auf. Ein Theorievorspiel, mit Joyce- und Beuys-Zitaten, das das Publikum erschauern ließ – war es doch eigentlich gekommen, um Literatur zu hören und nicht eine Einführung in die Kunstsoziologie des 20. Jahrhunderts. Schließlich lasen sie dann doch: die ÖsterreicherInnen Elfriede Czurda, Ferdinand Schmatz und Josef Winkler. Drei von 22 AutorInnen, die Grond für sein gigantisches Projekt „Absolut Homer“ verpflichtet hatte. 1992 hatte Grond die Idee, Homers „Odyssee“ neu zu schreiben. Nach eingehenden soziologischen Studien, wie man inzwischen vermuten darf. Grond & Co. wollen sich dem Verfall der Schriftkultur heroisch entgegenstellen und den Beginn der Autorenliteratur nach 3.000 Jahren wiederholen. Ein dickes Buch mit unterschiedlichsten Textbeiträgen ist das Ergebnis.

Frei nach einer knalligen ethnologischen These von der Odyssee als einer phönizischen Weltumseglung und sehr frei nach Homer entfalten Czurda, Schmatz und Winkler hochassoziative Texte. Elfriede Czurda läßt sich auf einen Dialog mit „O.“ über die Wüste ein und versucht den blinden Tatendrang des altgriechischen Kopf-Reisenden zu entlarven: Der „mind traveller“ als Scheintoter. Das ist schon ganz schön hoch gegriffen. Als Kollege Schmatz dann Odysseus im Nordafrika der Lotophagen als „ersten Touristen“ denunziert, kann man sich die Adorno-Faxe, die Grond in die literarische Welt gesandt hat, bildlich vorstellen.

Winklers detailverliebte Schilderung einer indischen Totenzeremonie entzieht sich dem artifiziellen Konzept der „Akte Odysseus“ – und ist ihr doch so nah: Winkler, eigentlich Essayist und Dichter, erzählt. Leben, Tod und Eros: die ganz großen Themen der Literatur blitzen in lakonischen Beschreibungen einer Leichenverbrennung auf. Ein Lächeln hier, ein nachdenkliches Gesicht dort – das Publikum, das zwischenzeitlich die eigenen Lotophagen-Träume denen der Vortragenden vorzog, war wieder dabei. Gut, daß sich wenigstens Josef Winkler dem Musenkuß der Frankfurter Schule und ihrer Nachkömmlinge verweigert hat. Die Schriftkultur ist noch zu retten. Kolja Mensing