Der Kaizer von Soweto

Fußball ist in Südafrika mehr als Volkssport, das Interesse gilt jedoch weniger dem Länderspiel gegen Deutschland als dem Afrika-Cup der Meister  ■ Von Michael Streck

Die Ohrfeigen des erzürnten Fans trafen Jacob Tshitsevhe – patsch, patsch – mitten ins Gesicht. Eine Links-rechts-Kombination. Der Abwehrspieler der Kaizer Chiefs taumelte einen Moment erschrocken, fing sich wieder und flüchtete mit der Sporttasche unterm Arm in einen Gang, über dem in verblichenem Afrikaans das Wörtchen „Speelers“ zu erkennen war. Ein Ordner verriegelte das Eisentor. Davor die Meute, die tobte. Bedrohlicher Singsang hob an. Ein zorniger Chor von Männern in gelben Hemden, mit gelbschwarzen Fahnen und mit gelben Helmen auf dem Schädel. Auf ihren Devotionalien stand der Slogan des Vereins – „Love and Peace“, Liebe und Frieden. Aber dieses Bekenntnis wirkte wie Hohn in den Momenten nach dem Pokal-Aus der Kaizer Chiefs gegen den Meister Cape Town Spurs. Die Fans forderten Sofortmaßnahmen: die Entlassung des Trainers Jeff Buttler und der Hälfte der Mannschaft. Mindestens. Sie rüttelten nunmehr am Eisentor mit erhobenen Fäusten, und die Spieler und Journalisten verkrochen sich immer tiefer bis in den hintersten Winkel des Kabinenganges. Love and peace? Drei Wörter, mehr nicht.

Aus der Kabine trat heraus ein Mann im khakifarbenen Anzug, und in diesem Augenblick – wie abgeschnitten – verebbte der wütende Choral zu einem Murmeln. Denn der Kaizer sprach zu seinem Volk. Kaizer Motaung, der Gründer der Chiefs, ein Idol, gewissermaßen die südafrikanische Ausgabe von Franz Beckenbauer. Der spürbar mißgelaunte Kaizer redete in Zulu, und er redete nicht viel, aber offenkundig reichte seine pure Anwesenheit zur Besänftigung. Die Massen stoben auseinander, und der geohrfeigte Jakob Tshitsevhe traute sich auch wieder heraus und bat die Journalisten: „Bitte, schreibt nicht meinen Namen.“ Er hätte sich anderntags nicht mehr auf die Straßen von Soweto trauen können. Aus Scham.

Fußball in Südafrika ist eben mehr als Volkssport. Er ist Gefühlsausdruck und zuweilen auch Gefühlsausbruch. Was insbesondere für die Anhänger der beiden führenden Vereine Kaizer Chiefs und Orlando Pirates gilt. Beide wurzeln in Soweto, beide zusammen vereinen landesweit rund sechs Millionen Fans, und ihre Rivalität geht weit hinaus über eine gepflegte Streitkultur. Die Vereinsliebe erreicht nicht selten religiösen Status. Denn Fußball war (und ist) Opium für das Volk, präziser: für die Schwarzen in Südafrika. 1,2 Millionen Spieler sind in dreißigtausend offiziell registrierten Vereinen aktiv. Millionen kicken unorganisiert in den Townships. Nicht Cricket. Nicht Rugby. Sie spielen Fußball, den Sport der Schwarzen. Und also spiegelt seine Geschichte auch die Südafrikas. Sie handelt von Demütigung und Erniedrigung, von Unterdrückung und Gewalt. Und sie handelt vom Stolz.

Heute rühmen sich die Fußballverantwortlichen damit, keine Rebell-Tours, keine Einladungsreisen ausländischer Teams geduldet zu haben, mit denen die Cricket- und Rugbyspieler die Isolation unterminierten. Der Fußball verstand den weltweiten Bann gegen Südafrika vielmehr als Unterstützung der eigenen Sache. „Fußball“, sagt Donald J. Norman, Generalsekretär des südafrikanischen Fußballverbandes, „war in diesem Land immer politisch. Er war ein exaktes Abbild der Stimmungen und der Lage der schwarzen Bevölkerung.“ Schon 1978, gerade zwei Jahre nach dem Schüleraufstand von Soweto, spielten gemischte Mannschaften, und sie karikierten den Rassenirrwitz der Buren. So wie es auch jener weiße, deutschstämmige Journalist aus Durban tat. Jeden Tag ging er in die Townships und bolzte mit seinen schwarzen Freunden, und jeden Tag holte ihn die Polizei vom Platz. Sie konnten ihn verhaften – seinen Willen aber nicht brechen. Die Weißen konnten den Fußball totschweigen, aber er überlebte trotzdem.

Und er lebt. Wenn auch unter schwierigen Bedingungen. Gerade erst feierte die National Soccer League (NSL) ihr zehnjähriges Bestehen. Ihre Gründung verlief blutig. Damals, 1985, brachen Kämpfe aus, als sich die führenden Klubs von der National Professional Soccer League (NPSL) abspalteten und ihre eigene Klasse aufmachten. Es gab Tote und Verletzte, und wer sich danach erkundigt, der stößt vielleicht deshalb auf ein erstaunliches Maß an Emotionslosigkeit, weil es auch heute noch beim Fußball Tote und Verletzte gibt. Gewalt und Verbrechen gehören zum Alltag in diesem Land.

Love and peace? Vor den Spielen der ersten Liga müssen sich die Zuschauerinnen und Zuschauer einer Leibesvisitation unterziehen, gegen die das Abtasten auf Flughäfen hierzulande wie freundliches Durchwinken wirkt. Die Sicherheitsleute untersuchen sogar eindeutig weibliche Ausbeulungen. Bei einem Match in Pietersburg füllten sie neulich eine ganze Mülltonne mit Schußwaffen – vierzig Pistolen. „Heutzutage kannst du die Dinger überall wie Bonbons kaufen. Und was in den Stadien passiert, steht exemplarisch für unsere ganze Gesellschaft“, schrieb in seiner wöchentlichen Kolumne Molefi Mika, der Sportchef von The Sowetan, der großen, schwarzen Zeitung des Landes. Er schrieb auch den Nachruf auf James Ngidi, den Manager des Erstligaklubs Moroka Swallows, der Tage zuvor erschossen worden war. Die Sportseiten lesen sich zuweilen wie Todesanzeigen.

Aber diese Aspekte des südafrikanischen Alltags lernen die deutschen Nationalspieler nicht kennen auf ihrer Urlaubstournee nach Südafrika. Sie erfahren auch nichts von den wirklichen Problemen ihrer Kollegen. Von den geringen Durchschnittseinkommen der Spieler beispielsweise, die mit 1.000 Rand (400 Mark) unter dem Stundenlohn der Herren Klinsmann oder Basler liegen. Weshalb der Begriff „Profi“ nur auf eine handverlesene Gruppe von Spielern und die ins Ausland abgewanderten Akteure zutrifft. Erzählt man ihnen vom Gebaren der Sponsoren, die für ihr Geld Mitspracherecht bei der Trainerauswahl verlangen und allzu oft abgehalfterte Typen vom Schlage des niederländischen Schleifers Clemens Westerhoff anheuern? Oder von den für europäische Verhältnisse lächerlichen 9 Millionen Rand (3,6 Millionen Mark) des staatlichen Fernsehens SABC, die sich die achtzehn Vereine für die Übertragungsrechte teilen müssen? Oder von der Korrumpierbarkeit der Funktionäre, die – wie der Verbandspräsident Solomon Morewa – in abgedunkelten Büros hinter dicken Vorhängen sitzen und abends in erstaunlich luxuriösen Karossen nach Hause fahren? All das gehört sehr wahrscheinlich nicht zum offiziellen Programm des DFB.

Womöglich aber muß sich die Delegation doch die eine oder andere unangenehme Frage von einheimischen Journalisten gefallen lassen, die hinter der wonnigen Goodwill-Reise der Germanen taktisches Kalkül vermuten. Der südafrikanische Verband SAFA (South African Football Association) bewirbt sich wie der DFB um die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft im Jahre 2006. Nächstenliebe und Vogtsscher Expeditionseifer taugen tatsächlich kaum als ausreichendes Reisemotiv. Wie auf Knopfdruck, vor allem aber ungefragt, rattert SAFA-Generalsekretär Norman eine gestanzt klingende Ehrenerklärung herunter, wonach die Deutschen, „our friends“, niemals „irgendeinen Druck auf uns ausgeübt haben, die Bewerbung zu ihren Gunsten fallenzulassen“. Nein, nein, die Deutschen kommen aus freien Stücken, und Freitag, der Tag des Spieles gegen die Deutschen, ist Feiertag. Für die Funktionäre und ein paar Spieler.

Die Fans im ganzen Land freuen sich auf ein großes Match. Allerdings auf ein Spiel ohne Klinsmann, ohne Häßler, ohne Helmer und ohne den neuen südafrikanischen Bundesligastar Sean Dundee. Das Länderspiel? Verkommt zu dem, was es verdient – zur Randnotiz. Denn tags drauf, am Samstag, spielen die Orlando Pirates in Abidjan an der Elfenbeinküste um den Afrika Cup der Meister. Das ist das Spiel der Spiele; es eint selbst die sonst unversöhnlichen Chiefs- und Pirates- Anhänger. Dann stimmt, was Kaizer Motaung seinem Klub als Credo auf die Fahnen schrieb: Love and Peace. Für ein paar Stunden jedenfalls.