Berliner Softschrott

■ Über zwei Dutzend Radiosender rangeln mit den gleichen Musikteppichen und einfältigen Werbespielchen um die Hörer

„Ich weiß, was ich am liebsten hör'.“ Der Berliner Comiczeichner Holger Fickelscherer hat sich früh entschieden: „Am liebsten hör' ich meinen Rasierapparat. Da bezahl' ich meine Kilowattstunde, weil ich weiß, was ich davon habe.“

Anders als Fickelscherer sind viele Berliner ratlos, was sie einschalten sollen, obwohl sie sich mit bald 26 Stationen des größten Radioangebots der Republik erfreuen können. Ein Sender tauft sich von einem Tag auf den anderen um, andere machen bei der Musikfarbe kehrt. Hier taucht ein neues Programm am Ätherhimmel auf, dort versiegt gerade ein anderes.

Zudem sind die unzähligen Radiosender der Stadt längst überall mehr präsent als in den Lautsprechern. In regelmäßig wiederkehrenden Werbeausstößen kleben metropolenweit an den Plakatwänden mal Schamhügel, mal Pralinen, werden mikrofonhaltende Studentinnen mit Geldscheinen an strategischen Plätzen postiert, um wildfremde Bürger zum Aufsagen einer Senderkennung zu zwingen.

Verwirrende Einfalt auf der UKW-Skala

Der Reklamerummel in eigener Sache tut not. Denn wer sich durch die überbordende Radioskala dreht, hat verwirrende Einfalt im Lautsprecher. Unterscheiden lassen sich die sanft verrockten Musikteppiche zumeist nur durch penetrant perpetuierte Senderkennungen.

Obgleich sich bei den Privatradios nahezu alles ums Geld dreht, verdient in Berlin kaum jemand welches damit. Da die Stationen alle das gleiche senden, bleibt naturgemäß auch das Werbevolumen begrenzt. Nur einer behauptet immer wieder, schwarze Zahlen zu schreiben: Georg Gafron, der als dienstältester Privatradiochef seine Station Hundert,6 mit solidem Gespür für das (West-)Berliner Volksempfinden führt. Als im Frühherbst einmal wieder fast alle Stationen ein „ganz neues“ Programmkonzept starteten, trat Gafron unter Sorgenfalten vor die Presse und prophezeite für den Jahresrest noch ein „Massaker“ unter den Sendern.

Eine Station war schon vorher ins Straucheln geraten: die des Musicalmanagers Peter Schwenkow. Schwenkow (erfolgreicher bei der Übernahme des Schiller Theaters) hatte mit Swing, Jazz und Kulturinfos eine Nische für die „educated people“ gepolstert, doch so es solche gibt, wollten sie sich dort nicht niederlassen. So wurde der Sender, der in berlinüblicher Mythensehnsucht „jfk“ (nach John F. Kennedy) getauft worden war, als „Soft Hit Radio“ wiedergeboren.

Derart weichgekocht, landete der faule Apfel im Schoß des Propheten Gafron. Womit das angekündigte Gemetzel seinen Ausgang nehmen könnte. Gafron hatte nämlich vor einem halben Jahr als amerikafreundliches Schmankerl seiner bodennahhen Station das Radio Charlie zur Seite gestellt, als Nachfolger des Kult- Soldatensenders AFN. Das mit viel mäzenatischem Schulterklopfen für den die Verluste tragenden Gafron gestartete Projekt muß er nun fallenlassen: Die Softwelle ist ihm wichtiger, und das Medienrecht erlaubt ihm neben diesem „Vollprogramm“ nur noch ein „Spartenprogramm“ – wobei den Unterschied selbst Fachleute nicht erklären können.

Der Fall Soft Hit Radio ist ein Musterbeispiel für die ziellose Lizenzpolitik im vollen Hauptstadtäther. Denn den Grund für das Scheitern von jfk konnte Sendergeschäftsführer Thomas Dittrich genau benennen: Man habe im Gegensatz zu anderen einfach den Fehler gemacht, sich an seine Lizenz zu halten, und zwar „sklavisch“. Gafron behauptet, kein Sender in Berlin (außer dem eigenen) halte sich an die Vorgaben.

Tatsächlich bemühen sich bei jeder Ausschreibung die Bewerber, dem Medienrat mit schönen Programmstrukturen den Mund wäßrig zu machen, welche sich anschließend stets als hinderlich erweisen und abgeworfen werden. Und der Medienanstalt Berlin- Brandenburg fällt wenig anderes ein, als den jeweils entstandenen Zustand nachträglich zu legalisieren.

„jfk“ etwa hatte die Lizenz bekommen, weil es eine besondere Musikfarbe und ambitionierte Kulturprogramme ankündigte. Als man das Musikformat auf „adult contemporary“ (so nennen die Macher den Einheitsbrei aus Oldies und neuen Hits) umstellte, gab die Anstalt zähneknirschend ihr Okay. Erst wurde das Programm flach, dann wechselte auch der Name in „Soft Hit“. Erst als Gafron sich auch noch das Gros der Anteile einverleibte, wurde die Frequenz neu ausgeschrieben. Doch das Ergebnis steht mehr oder weniger schon fest. Soft Hit wird wohl weiter senden dürfen, mangels einer weniger soften Alternative.

Ost-West-Spaltung auf dem Hörermarkt

Nun rüsten sich die Sender für die nächste Reichweitenuntersuchung. Die Zahlen der letzten „Mediaanalyse“ aus dem Sommer nahmen das Berliner Wahlergebnis vom Oktober bereits vorweg: tiefe Spaltung zwischen Ost und West, und auf beiden Seiten ein Sieg der Spießer: Während der Westen am liebsten Gafrons „Stimme der schweigenden Mehrheit“ (Eigenwerbung) lauscht, siegt im Osten der Berliner Rundfunk, privat gewendeter DDR- Staatsfunk, der mit Oldies und Ostgefühl das Gemüt bedient. Unter „ferner liefen“ bleibt derweil der Westberliner SFB-Funk, dessen mit Werbung gefüllte Programme inzwischen als Stadtradio 88.8 und B Zwei daherkommen.

Deutschlandweit ist die Schwäche des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Berlin einmalig. Nahezu alle Programme sind noch dabei, sich ihren Platz zu suchen. So ist auch der Radiomarkt ein Spiegel der Stadt. „Ein bißchen anarchisch“, sagt Susanne Grams, die Sprecherin der Medienanstalt, „aber was sollen wir machen?“ Eben hat die Medienanstalt eine weitere Frequenz ausgeschrieben. Man hat eben „noch eine gefunden“. Lutz Meier