Präventive Kapitulation

■ betr.: „Bundeswehr im Kampfein satz“, Kommentar von Jürgen Gottschlich, taz vom 7. 12. 95

Anstatt beleidigt darüber zu jammern, daß in Bosnien die UNO durch die schrecklich imperialistische Nato ergänzt wird, sollte Jürgen Gottschlich wenigstens einmal die von ihm selbst gestellte rhetorische Frage nach der Alternative zu Dayton und militärischer Friedenssicherung durch die Nato in Bosnien ernsthaft beantworten (insbesondere die Rolle der UNO! Zum Beispiel im Zusammenhang mit UN-Sicherheits!-zonen wird zynisch ignoriert). Statt dessen kanzelt Gottschlich die Sinnhaftigkeit der Rolle der Nato als nur scheinbare Wahrheit ab. Worin Gottschlich am Ende dennoch das Substantielle in den (doch am Anfang als nur „scheinbar“ klassizfizierten) Gründen von Fischer sieht, ist eine Frage, deren Antwort ich eher im Bereich anpasserischer political correctness eines pazifistischen Hardliners ansiedele. Michael Moller, Konstanz

[...] Jürgen Gottschlich stellt fest, daß es „eine knappe Mehrheit der Grünen-Fraktion zu Recht bewogen (hat), gegen den Einsatz in dieser Form zu stimmen“. Wie sieht denn diese Mehrheit aus, wenn es doch 22 Ja-, 22 Neinstimmen und 5 Enthaltungen gab? Hier wird etwas suggeriert, was der Realität nicht entspricht: Es gibt bei den Grünen eben keine Mehrheiten mehr gegen Bundeswehreinsätze. Andreas C. Werner, Berlin

Wenn Jürgen Gottschlich in seinem Kommentar darauf hinweist, daß es „gute Gründe gegen eine deutsche Bosnien-Mission“ als Reaktion auf Dayton gibt, so kann ich ihm nur zustimmen. [...]

Was Gottschlich zu wenig berücksichtigt, ist die Tatsache, daß der jetzt im Bundestag beschlossene Bundeswehreinsatz in Bosnien und die damit einhergehende Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit von Kampfeinsätzen gleichsam der „Türöffner“ für zukünftige solche Einsätze ist, überall dort, wo „Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ (Bundesverteidigungsminister Rühe) betroffen sind.

Aus dieser Einschätzung resultiert für mich ein Dissens zu dem, was Gottschlich in seinem Kommentar zu der Grünen-Fraktion sagt, zur Frage der „Gewissensentscheidung“. Solange ich den bundesdeutschen Parlamentarismus mit offenen politischen Augen verfolge, mußte ich stets feststellen, daß die „Gewissensentscheidung“ immer dann anstand, wenn es letztlich um die Erhaltung des erstarrten Systems ging.

[...] „Gewissensentscheidungen“ sind einem Parlament, das zugleich den Fraktionszwang kennt, wesensfremd. Sie sind nur erlaubt, wenn das „Gewissen“ von einzelnen oder kleinen Gruppen am Endergebnis sowieso nichts ändert.

Unberücksichtigt bleibt auch, daß die Mehrzahl der Volksvertreter stets kuscht, wenn es gefordert wird. Lediglich zwei Handvoll auf abgehobener Bühne agierende Berufspolitiker haben da mehr Spielraum. Fischer zählt zu ihnen. So schreibt die FAZ, sinngemäß zitiert: Einer, der wie Fischer anstrebt, Außenminister zu werden und durch seine Profilierung auch die Chance dazu hat, weiß, daß er Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln akzeptieren muß. So betrachtet ist zum Thema „Gewissensfreiheit“ nichts hinzuzufügen. Klaus Vack, Sensbachtal

[...] Mit der abendländischen christlich-humanistischen Tradition des Gewissens hat die Gewissensentscheidung grüner Bundestagsabgeordneter nicht das mindeste zu tun. Diese findet sich zum Beispiel beim Recht auf Kriegsdienstverweigerung und meint das Gewissen, das als normative Überzeugung die eigenen Handlungen bestimmt. Wenn ein/e Abgeordnete/r über einen Militäreinsatz abstimmt, betrifft das aber nicht eine eigene Handlung, sondern den Befehl an andere Menschen, im Falle des Falles sich umbringen zu lassen und/oder andere Menschen zu töten. Kein einziges Mitglied des Parlaments muß die Folgen davon persönlich tragen oder nimmt ein individuelles Risiko auf sich.

Außerdem wird auch völlig vernachlässigt, daß das Abstimmungsverhalten der Oppositionsfraktion Bündnis 90/Die Grünen für das Ergebnis der Entscheidung selbst irrelevant war, was von vornherein klar war. In Wirklichkeit wurde dadurch nur die Verantwortung einer Partei, die nicht an der Regierung beteiligt ist, verwischt. Ihre Aufgabe ist es, ihr eigenes Programm, mit dem sie bei den Wähler/innen geworben hat, zu vertreten. Kein Gewissen kann gebieten, das genaue Gegenteil von dem zu tun, was die Partei, der die Abgeordneten ihr Mandat verdanken, versprochen hat.

Mit einem ehrlichen Gewissensbegriff hat das alles also nichts zu tun, sehr wohl aber mit der Tradition der deutschen „Linken“, auf die Joschka Fischer sich so gern beruft. Diese hat nämlich in entscheidenden Momenten immer wieder ihre präventive Kapitulation erklärt, ohne dafür irgendeine Gegenleistung (außer Schulterklopfen) zu erhalten. Es geht mal wieder um das Bekenntnis, ein/e brave/r Deutsche/r zu sein, wenn es hart auf hart kommt. Einige Fehler sind offensichtlich unausrottbar. [...] Thomas Groß, Heidelberg