Umzug made in Japan

■ Regierungskommission will statt Tokio eine neue japanische Hauptstadt

Tokio (taz) – Welcher Tokioter hat nicht genug vom Leben in der Metropole? Die höchsten Mieten der Welt, eine Durchschnittsgeschwindigkeit für Autos von 18 Stundenkilometern, Wasserversorgungsprobleme in der Zukunft und die permanente Angst vor Erdbeben – es reicht! Eine Regierungskommission, die nach zweijährigen Studien gestern ihren Bericht vorlegte, hat deshalb Revolutionäres vorgeschlagen: Bis zum Jahr 2010 soll Japans Hauptstadt verlegt werden. Schon im Jahr 2000 sollen die Bauarbeiten einer Zukunftsstadt fürs 21. Jahrhundert beginnen, in der die Regierungsbürokratie schlank, die Wohnung erdbebensicher, die Verkehrsverbindung gut und das Leben billig ist. „Japan steht an einer Wasserscheide“, sagte am Mittwoch der Kommissionsvorsitzende Usamu Uno. „Die Verlegung der Hauptstadt kann uns in eine neue Ära führen.“ Für sein Vorhaben verfügt Uno bereits über die Unterstützung von 250 Abgeordneten im Tokioter Parlament, und auch Premierminister Murayama scheint der Idee wohlgesonnen. Was könnte vernünftiger sein, als den Wasserkopf des Zentralstaats Japan zu köpfen? In Wirklichkeit aber währt die Debatte um die Verlegung der japanischen Hauptstadt bereits 30 Jahre. Inzwischen ist Tokio mit 32,4 Millionen Einwohnern im Umkreis die größte Stadt der Welt. Die Generationen, die dabei einst das Land verließen, haben in der Stadt heute Wurzeln geschlagen. Kaum ein Tokioter will umziehen – die Industrie hingegen möchte, weil ihr lukrative Aufträge winken.

Vor allem aber verspricht das Jahrhundertprojekt Hauptstadtverlegung der Regierung ein verführerisches Reform-Alibi: Denn so ließe sich von einer historischen Dezentralisierungskampagne sprechen, ohne daß die Zentralregierung in Wirklichkeit Macht aufgibt. Der neue Hauptstadtplan hat deshalb einen Gegner: Tokios Bürgermeister Yukio Aoshima. Er forderte gestern eine neue Machtverteilung zwischen Staat und Kommunen statt einer bloßen Machtverlegung. Georg Blume