Belgier gehen gegen Sparpolitik auf die Straße

■ 50.000 Angestellte des öffentlichen Dienstes machen Druck. Wie im Nachbarland Frankreich will auch Brüssel den Haushalt für die Währungsunion sanieren

Brüssel (taz) – „Europa ist keine Filiale von Japan“, wetterte Jacques Lorez von der Sozialistischen Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst, CGSP. Die Regierungen in der EU, vor allem die belgische, müßten begreifen, daß es Traditionen gebe, die man nicht einfach auf das Gesetz des Marktes reduzieren könne. Rund 50.000 Angestellte des öffentlichen Dienstes demonstrierten gestern in Brüssel gegen die Sparpläne der Regierung, die damit den Haushalt sanieren und sich den Bedingungen für die Europäische Währungsunion annähern will.

Die riesige Demonstration ist der vorläufige Höhepunkt einer seit Monaten anhaltenden Proteststimmung gegen eine Sparpolitik, die wesentlich härtere Auswirkungen hat als in Frankreich. Der „Plan Global“ sieht vor, Steuern zu erhöhen, Sozialausgaben zu streichen und die Zuschüsse für die Staatsbetriebe deutlich zu kürzen, was rund 40.000 Arbeitsplätze kosten wird. Betroffen sind vor allem die Fluggesellschaft Sabena, die Bahn und die Telefongesellschaft. Allein die Bahn muß durch Streckenstillegung und Personalabbau 3,5 Milliarden Mark einsparen.

Die Regierung steht mit dem Rücken zur Wand. Belgien ist bei der Staatsverschuldung mit 135 Prozent Spitzenreiter in Europa. Um an der Währungsunion teilzunehmen, müßte Belgien die Staatsverschuldung in den nächsten zwei Jahren deutlich senken. Doch die Währungsunion ist nur der äußere Anlaß für die Sanierung des Staatshaushalts. Die belgische Regierung muß 40 Prozent der Ausgaben für den Schuldendienst aufbringen und ist damit kaum noch handlungsfähig.

In den letzten Wochen hatten vor allem Eisenbahner sowie Angestellte der Brüsseler Metro und der staatlichen Fluggesellschaft Sabena immer wieder mit begrenzten Streiks auf ihren Unmut aufmerksam gemacht. Zu einem Generalstreik, wie er für gestern angedacht war, konnten sich die zersplitterten Gewerkschaften nicht zusammenraufen. Um wenigstens für einen Tag Gemeinsamkeit in ihrer Opposition gegen die Regierungspläne zu demonstrieren, einigten sie sich auf einen Protestmarsch durch die Hauptstadt. Weil daran viele Busfahrer und Zugangestellte teilnahmen, fielen im ganzen Land Busse aus, Züge hatten Verspätung. Die Belegschaft im belgischen VW-Werk legte die Arbeit nieder, weil ihnen die Betriebsleitung die Teilnahme am Protestmarsch verboten hatte. Die Zusammenarbeit der Gewerkschaften wird dadurch behindert, daß in der Regierungskoalition sowohl die den christlichen als auch den sozialistischen Gewerkschaften nahestehenden Parteien vertreten sind und damit keine echte Opposition zustande kommt. Die Sparpläne werden von allen vier Regierungsparteien mitgetragen. Alois Berger