Senats-Kahlschlag im Staatsdienst

■ Vertrauliches Senats-Papier enthüllt: Lohnkürzungen und Entlassungen im Öffentlichen Dienst sollen die Stadtkasse sanieren Von Florian Marten

Hamburgs Stadtstaatsregierung plant den Bruch eines Tabus: Erstmals will der Senat die Arbeitsplatzvernichtung im Öffentlichen Dienst mit Entlassungen beschleunigen. Damit nicht genug. Mit einem bislang beispiellosen Katalog von „Instrumenten zur Unterstützung der Behörden bei der Erreichung der Einsparverpflichtung im Personalhaushalt“, wie es im umständlichen Behördenslang heißt, wollen die stadtstaatlichen Arbeitgeber ihren 100.000 abhängig Beschäftigten an Portemonnaie und Arbeitsplatz.

Dies jedenfalls ist der hochbrisante Inhalt eines noch streng vertraulichen „Zwischenberichts zur Senkung von Personalkosten“ des Senatsamtes für den Verwaltungsdienst, welcher der taz hamburg im vollen Wortlaut vorliegt. Eine kleine Auswahl aus dem „Giftpaket“, wie einer der Verfasser das Senatswerk ironisch betitelt: Frühverrentung; Lohnkürzungen; Streichung von Beilagen, Zulagen, Weihnachts- und Urlaubsgeld; deutliche Absenkung des Krankenstandes; Bundesratsinitiativen zur Kostensenkung im Öffentlichen Dienst; ein Tarifabschluß von höchstens zwei Prozent im April.

Anlaß für diesen Rundumschlag war eine überaus stürmische Senatssitzung am 22. November 1994. Nach heftigen Auseinandersetzungen um die geplanten Personalkosteneinsparungen von 50 bis 75 Millionen Mark pro Haushaltsjahr erklärte Justizsenator Klaus Hardraht, er komme in seinem Haus mit dem „Prinzip Fluktuation“ allein nicht aus. In der Tat: Wie schon bei den Personalkahlschlägen in den 80er Jahren sind die Fluktuationsraten in Hamburgs Verwaltung seit Beginn der großen Sparorgie nach Abschluß der Koalitionsverhandlungen im Herbst 1993 drastisch abgesunken. Die Senatorenrunde forderte deshalb von Innen-Staatsrat Wolfgang Prill, Hamburgs Macher in Sachen Verwaltung, ein Papier, wie man dem Personalproblem noch anders beikommen könne.

Prill ließ seine Jungs schuften und stellte erste Ergebnisse seiner Bemühungen bereits am 19. Dezember 1994 auf einer Staatsräterunde zur Diskussion. Derzeit kreiselt das Giftpaket in der Behördenumlaufbahn – es wird „abgestimmt“. Große Veränderungen darf es freilich nicht geben. Fröhlich heißt es beim Punkt „Alternativen“: „Keine.“

Dank des neuen, von jeder einzelnen Behörde selbst verantworteten, Sparens schreibt das Papier keine bestimmten Maßnahmen verbindlich vor. Es bietet lediglich „Instrumente“ an. Einige interessante „Modellrechnungen“ deuten aber die Richtung an: Eine komplette Frühverrentung aller 55- bis 62jährigen Beamten würde Hamburg beispielsweise 130 Millionen Mark jährlich sparen, eine Streichung des Urlaubsgeldes für alle brächte 65 Millionen, die Einführung eines einheitlichen Weihnachtsgeldes von 2000 Mark für alle gar 362,7 Millionen Mark.

Kernpunkt des Papiers ist freilich das Ja zu Entlassungen. Zwar „hat der Senat wiederholt erklärt“, so klagen Prill & Co, „daß aus Anlaß von Maßnahmen von Rationalisierung kein hamburgischer Arbeitnehmer entlassen wird.“ Aber, so fährt das Papier schlau fort: „Mit dieser Aussage des Senats sind allerdings betriebsbedingte Kündigungen aus anderen als Rationalisierungsgründen nicht erfaßt.“

Die neue Interpretation: Wird der staatliche Leistungsumfang eingeschränkt oder werden Aufgaben ausgelagert, darf sehr wohl entlassen werden. Leider sind aber undank von Mitbestimmungspflicht und Einigungsstelle „Kündigungen im Streitfall nicht erzwingbar“. Was tun? Ganz einfach: Auflö-sungsverträge schließen – Meßlatte für Abfindungen: ein halbes Monatsgehalt je Arbeitsjahr. Besser noch, so meinen die Kostensenker augenzwinkernd, sei die „Möglichkeit verhaltens- und personenbedingter Kündigungen“. Auf deutsch: Geschickt abmahnen, dann entlassen.

Schließlich vermerkt das Prill-Papier stolz, daß bereits die 94er Niedriglohnrunde „Einsparungen von 122,7 Millionen Mark“ brachte. Damit es auch 1995 ähnlich erfreulich weitergeht, will Hamburg in der kommenden Tarifrunde mit der ÖTV dem aktuellen Vorbild der Metallarbeitgeber folgen: „Kostensenkung durch Tarifverträge“ lautet das Motto.