Die Bohrmaschine als DJ

Robert und Ronald Lippok stellen in der Galerie „Weißer Elefant“ aus und feiern heute abend Record-Release-Party mit Stefan Schneider  ■ Von Gunnar Lützow

Als vor drei Wochen die Berliner Lokalmatadoren Mutter und Die tödliche Doris mit Freunden aus der Kreuzberger Kleinkunstszene im Theatersaal der Volksbühne auftraten, gab der als strippender Conferencier agierende Filmemacher Jörg Buttgereit („Nekromantik“) eine schöne Anekdote zum besten.

Der Albumtitel „Hauptsache Musik“ sei entstanden, als Max Müller bei einem Flohmarktbesuch nach günstigen Platten Ausschau hielt. Nachdem er eine halbe Stunde lang die Sonderangebote durchgewühlt und nichts Passendes gefunden hatte, meinte der genervte Verkäufer: „Was willst du? Hauptsache Musik!“

Dies dürfte auch der Wahlspruch der 1983 von Robert und Ronald Lippok gegründeten ehemaligen Ost- und inzwischen Gesamtberliner Band Ornamente und Verbrechen sein. Keine Spur von Konzept ist zu entdecken. Mit von Album zu Album wechselnden Besetzungen ändern sich auch die Richtungen, in die sich das nach einem Vortrag des Wiener Architekten Adolf Loos benannte Projekt entwickelt.

Resultat dieser Arbeit als „Produktionsverhältnis auf offener Gruppenbasis“ ist ein Sampling allen verfügbaren Materials von Schrammelpunk über chilenische Folklore und tibetanische Sakralmusik bis zu aktuellem TripHop und House. Und wenn Ornament und Verbrechen mit Tegeler Freigängern im Jugendclub auftreten, verwandeln sie sich für drei Stunden auch schon mal in eine Bluesband.

Angereichert werden ihre Produktionen mit Zitaten aus der klassischen englischen Lyrik. Auch die Texte von Prenzlauer-Berg-Dichtern wie Bert Papenfuß verwertet man gerne. Um die Verwirrung komplett zu machen, wurden auf „Super de Luxe Transistor Radio“ die geklauten Texte auf englisch, französisch und koreanisch vorgetragen.

Und neben Hörspielen, Film- und Theatermusiken entstanden auch noch Bücher. Kein Wunder also, daß die nach eigenen Angaben „erste New-Wave-Revival- Band der Welt“ im Kunstkontext genauso beheimatet ist und gleichzeitig befremdend wirkt wie auf der Bühne. „To Rococo Rot“ ist der palindromische Titel ihrer aktuellen Ausstellung in der Galerie Weißer Elefant, die von Freitag- Plattenkritiker Ralf Bartholomäus betrieben wird. Kernstück von Robert Lippoks Installation sind drei nebeneinander gehängte Billigplattenspieler, auf denen schwarzes Vinyl aus den Sparten Soul, Techno und Heavy Metal rotiert – angetrieben allerdings von drei auf dem Flohmarkt erstandenen Bohrmaschinen, die von einem im Eingangsraum plazierten Computer gesteuert werden.

Das empfangene Signal wird über ein verwirrendes Geflecht von angeschlossenem Synthesizer, Echogerät und Verstärker in drei Boxen transportiert, die auch nicht unbedingt der gewöhnlichen Musikrezeption entgegenkommen.

Die räumliche Verbindung zu der Serie von 26 kleinformatigen Bildern Ronald Lippoks, der sein Studium an der Weißenseer Kunsthochschule als Meisterschüler abschloß, stellt ein an den Rechner angeschlossener Kuchenquirl her. Er dreht langsam eine Nabelschnur aus Kautschuk, die an einem auf gleicher Höhe angebrachten Bildobjekt aus jenem Material angebracht ist.

Sie entstanden nach einer Serie alchimistischer Stiche, die dem 1622 in Frankfurt erschienenen Buch „Philosophia Reformata“ von J. D. Mylius beigefügt sind. Beginnend mit zwei Gerippen, die auf einer schwarzen Sonne balancieren und dabei von Engeln beobachtet werden, endet die Serie mit einer Rabenschar über offenen Gräbern und lümmelnden Skeletten.

Dazwischen sind dreiköpfige Schlangen, leere Glaskugeln, brennende Bären und Sensenmänner zu sehen – allesamt Teil des alchimistischen Codes, der auf zwei Ebenen operiert. So bedeutet ein die Sonne verschlingender grüner Löwe nicht nur, daß Gold in einer Mischung von Salzsäure und Salpeter aufgelöst wird, sondern symbolisiert auch die „materia“ prima, das uranfängliche Chaos.

Heute abend findet in der Galerie Weißer Elefant anläßlich der Veröffentlichung eines ebenfalls „To Rococo Rot“ benannten Tonträgers eine Record-Release-Party statt. Diese Coloured-Vinyl-Maxi des Kreidler-Bassisten Stefan Schneider entstand in Zusammenarbeit mit den Lippok-Brüdern, die auch für die Gestaltung verantwortlich sind.

Die „Mouse-Side“ ziert eine Plastik-Mickymaus, auf der „Bag- Side“ ist ein Verbandskasten deponiert. Kratzer, Fingerabdrücke und Zigarettenasche zieren das Foto. Abspielbar ist sie sowohl mit 33 als auch mit 45 Umdrehungen pro Minute: Blubbernde Muzak- Tracks mit Titeln wie „Süße Küche“, „Testfeld“ und „Kritische Masse I“ verwandeln sich dann in etwas, was niemals Jungle werden wird, aber doch nach vorne losgeht. Gunnar Lützow

Record-Release-Party heute, 20 Uhr, in der Galerie Weißer Elefant, Almstadtstraße 11, Mitte

Morgen ab 22 Uhr Party mit Stefan Schneider im Glaskasten vor der Volksbühne, Rosa-Luxemburg- Platz, Mitte

Öffnungszeiten der Ausstellung: Di.–Fr. 11 bis 19, Sa. 15–18 Uhr. Bis 23.12.