Soul-Biologie: Käfer und Wespe

■ Barry White, Debut-Jahrgang 1972, und Jhelisa, Debut-Jahrgang 94, frisch unterm Mikroskop

Zwei Seiten der Liebe sehen wir hier: den Käfer- und den Wespen-Part. Hier der runde, behäbige, mit der Stimme tief über den Boden kriechende 100-Millionen Seller, der die Liebe von Mann zu Frau mit schmelzigem, tonalen Sekret umschreibt; und dort die fiese Dissonanzen nicht fürchtende, mit kleinen Textwendungen die Gemütlichkeit der romantischen Liebe stechende Amerikanerin im blumigen London. Den Soul-Biologen interessieren aber beide. Barry White, Held von Europas Zigeunern und mädchengebliebenen Hausfrauen, und Jhelisa, die zwischen summendem Nektarsoul und angejazztem Hip-Hüpf eine unberechenbare eigene Linie verfolgt. Denn das weibliche Insekt setzt die Linie der aus dem Background-Schatten tretenden eigenwilligen Künstlerinnen fort und akzeptiert dabei wenige Kompromisse.

Live hat man die ehemalige Soul Family Sensation- und Shamen-Sängerin schon eine derbe Punk-Kante spielen sehen, was das Publikum meist zwar unerwartet traf, aber dann durchaus zu Strickmützen-Pogo führte. Und der männliche Kriechpanzer Booker T. Washington White ist innen weich und lecker und breitet seine weise Liebesphilosophie im Stile eines asiatischen Gurus über die schmalzigen Arrangements mit den unvergleichlich primitiven Beats. Seine neue Platte The Icon Is Love unterscheidet sich in so gut wie nichts von seinem 70er Jahre-Soul, wie ihn Beckers ZDF-Sendung New York, New York damals zuerst in die deutschen Wohnzimmer spülte. Daß sein eminenter Einfluß auf Disco-Soul auch eine amerikanische Soul-Diva in spe wie Jhelisa nicht unbeeinflußt gelassen hat, läßt sich zwar nicht beweisen; wenn sie ihn allerdings unbewußt zitiert, so tut der Meister das bei sich selbst mit vollstem Wissen um den Effekt. Wie er sein „Well, I love you, love you, love you“ immer wieder im selben Tonfall in seine Stücke implantiert zeigt, daß da jemand weiß, wie er sich das entzückte Aufjauchzen im Parkett organisiert. Schlußendlich zeigt diese Botanik-Lektion, daß die Freunde der Käfer im Durchschnitt 20 Jahre älter sind, als die der Wespen.

Barry White:
26../28.2., CCH1, 20 Uhr / Jhelisa:
28.2., Mojo, 21 Uhr Till Briegleb