„Nicht gegen die Bürger“

■ Der Kieler Energieminister Claus Möller (SPD) über den nicht nur „ästhetischen Genuß“ von konzentrierten Windkraftanlagen

taz: Bis zum Jahr 2010 sollen in Schleswig-Holstein 2000 Windkraftanlagen 1200 Megawatt (MW) Strom, ein knappes Viertel des Landesbedarfs produzieren. Obwohl schon heute Bauanträge vorliegen, deren Genehmigung diese Vorgabe weit übertreffen würde, wollen Sie das Plansoll nicht nach oben korrigieren. Warum tritt der Atomgegner Möller plötzlich auf die Windbremse?

Möller: Als wir vor vier Jahren gesagt haben, wir würden im Jahr 2010 mehr als 20 Prozent des in Schleswig-Holstein verbrauchten Stroms durch Windenergie erzeugen, hat man uns als Spinner bezeichnet. Inzwischen halte ich es für realistisch, daß wir unser Ziel – Windanlagen mit einer Kapazität von 1200 MW – früher als geplant erreichen. Ende 1994 hatten wir bereits ca. 950 Anlagen am Netz, die allein im letzten Jahr 443 Millionen Kilowattstunden Strom produziert haben. Das sind mehr als 50 Prozent des in Deutschland erzeugten Windstroms. Für 1995 liegt meine Prognose bei 700 Millionen Kilowattstunden. Das wären gut 6 Prozent des in Schleswig-Holstein verbrauchten Stroms.

Trotzdem werden Sie viele Windkraftinvestoren ausbremsen müssen, wenn Sie Ihre Zielvorgaben nicht nach oben korrigieren.

Daß ich derzeit nicht über die 1200 MW hinausgehen will, hängt damit zusammen, daß wir massive Akzeptanzprobleme nicht nur für Atomkraftwerke, sondern auch im Windbereich haben. Wir haben immer ganz basisdemokratisch gesagt: Jede Gemeinde soll selber entscheiden, ob und wieviel Windenergie sie in der Region haben will. Doch bei den Planungen sind Fehler gemacht worden: Da hat die eine Gemeinde ihrer Nachbargemeinde einen Windpark vor die Haustür geknallt, ohne sie vorher zu konsultieren. In einigen Regionen wurde wenig sensibel mit Denkmal-, Vogel- oder Naturschutzbelangen umgegangen. Daher die Akzeptanzprobleme. In Teilen Nordfrieslands hat es fast bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen gegeben. Ich will nicht ausschließen, daß wir die Vorgabe von 1200 MW irgendwann nach oben korrigieren. Aber wir wollen die Windenergie nicht gegen die Bürger durchsetzen.

Was heißt das konkret?

Daß wir die bisherigen Planungsgrundsätze überarbeiten werden. Die Kreise haben zu spät begonnen, für ihre Regionen gemeindeübergreifende Pläne auszuweisen. Es hat nicht nur Kritik von notorischen Nörglern gegeben, sondern auch von Naturschutzverbänden. Es ist glücklicherweise so, daß bei der Beratung der neuen Planungsrichtlinien die Landräte – die ja Genehmigungsbehörde sind – die 1200 MW nicht in Frage stellen.

Wie wollen Sie umsteuern?

Hier haben wir eine Absprache mit den Kreisen getroffen, daß sie ihr Gebiet nach Anhörung aller Gemeinden und unter Berücksichtigung von Naturschutzbelangen und anderen Gesichtspunkten überplanen: Wind-Vorranggebiete und Ausschlußflächen ausweisen, wo keine Windparks gebaut werden dürfen. Das ist dann bitter für einige Investoren und die Gemeinden, in denen es sehr viele Interessenten gibt. Aber durch diesen Abwägungsprozeß hat es in Nordfriesland 1994 nur einen geringen Zubau gegeben. Unsere großen Zuwachsraten haben wir zur Zeit in Dithmarschen oder im Kreis Schleswig-Flensburg. Man sollte akzeptieren, daß es auch in Nordfriesland oder Eiderstedt Bereiche geben muß, wo das typische dieser Landschaft – der freie Blick – erhalten bleibt. Und im Gegenzug an anderen Stellen konzentrierter die Windkraft ausbauen.

Viele NaturschützerInnen beklagen, daß durch Windparks Vogelbrutplätze vernichtet werden und die gefiederten Freunde beim Vogelzug unter die Räder kommen.

Belege, daß von den Windanlagen Hunderte von Vögeln erschlagen wurden, kenne ich nicht. Aber wir haben deshalb trotzdem gebremst und damit auch die Zustimmung des BUND gefunden. Wenn wir an einem traditionellen Rastplatz des Vogelzuges eine phantastische Windsituation haben, werden wir dort dennoch auf neue Anlagen verzichten.

Gibt es in den Gemeinden genügend Know-how, um all die genannten Aspekte im Planungsprozeß ausreichend zu berücksichtigen?

Die Gemeinden stehen nicht alleine da, auch wenn sie das letzte Wort bei der Planung haben. Es gibt Beratungskapazitäten wie die Landwirtschaftskammer oder Windfördergesellschaften, Naturschutzverbände, aber auch das Energieministerium.

Noch ein Tritt auf die Windbremse: Die Fördermittel für Windanlagen werden von Kiel zur Zeit kontinuierlich gekürzt

Als wir vor ein paar Jahren gesagt haben, daß die Windenergie um die Jahrhundertwende keine öffentliche Förderung mehr braucht, wurden wir belächelt. Heute steht sie an der Schwelle zur Wirtschaftlichkeit, auch ohne öffentliche Subventionen. Wir haben mit 30prozentigen Investitionszuschüssen angefangen, liegen heute bei fünf Prozent und wollen auf Null runter. Die Investitionsbereitschaft im Windbereich zeigt, daß eine Anschubfinanzierung bald nicht mehr nötig ist.

Dafür stöhnen Stromkonzerne wie die Schleswag, daß die Einspeisevergütung von über 17 Pfennigen pro Kilowattstunde, die sie den Windkraftbetreibern zahlen müssen, ihre Bilanzen drückt.

Diese Einspeisevergütung hat die Wirtschaftlichkeit der Windkraft erhöht und ihr einen kräftigen Schub versetzt. Es ist dabei nicht zu leugnen, daß die Schleswag hierdurch im vergangenen Jahr Zusatzkosten von 35 Millionen Mark gehabt hat. Wer mir aber erzählt, es bricht alles zusammen wegen der Einspeisevergütungskosten, der muß sich die Frage gefallen lassen: Wo waren die Krokodilstränen, als Milliardenbeträge nach Wackersdorf, Kalkar und Hamm-Uetrop gegangen sind?

Also finanziell alles im Lot?

Wir sind mit der Schleswag der Ansicht, daß es künftig eine solidarischere Finanzierung der Mehrbelastung für regenerative Energien geben muß, um eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der Energieversorger zu vermeiden, die bei der Förderung regenerativer Energien ganz vorne liegen. Klimaschutz ist eine nationale Aufgabe. Deshalb treten wir bei der Neuregelung der Finanzierung der Kohlesubvention für eine Energiesteuer in Höhe des bisherigen Kohlepfennigs – Gesamtvolumen 9 Milliarden Mark – ein. Teile dieses Betrags sollen für ein Energiesparprogramm und die Mehrbelastung einiger Energieversorger durch die Kosten für die Einspeisung regenerativer Energien aufgewendet werden. Wir könnten für diese beiden Bereiche mit 500 Millionen Mark für 1996 anfangen und jährlich um 250 Millionen aufstocken. Dann wäre man in zehn Jahren bei 2,5 Milliarden pro Jahr. Das wäre der Einstieg in eine Ökologisierung des Steuersystems.

Gibt es eine optimale Größe für Windparks?

Wir wollen lieber konzentrierte Windparks bauen und dafür andere Flächen freihalten, weil damit die Infrastrukturkosten – Netzausbau und Trafos – im Vergleich zu kleinen Windparks mit beispielsweise drei Anlagen sinken. Für mich ist jede Windkraftanlage ein ästhetischer Genuß. Aber darüber kann man streiten. Ein gutgeordneter Windpark ist jedenfalls landschaftsverträglicher, als wenn man quer durch die Gegend nur einzelne Windkraftanlagen aufstellt.

Was müßte der Bund tun, damit regenerative Energien eine entscheidende Rolle für die Stromversorgung spielen können?

Es gibt in Bonn keine vernünftige Energiepolitik, nicht einmal vernünftige Förderprogramme. Es ist ein Skandal, wie die Fernwärmesysteme im Osten Deutschlands verrotten, weil es keine Mittel gibt. Wir brauchen eine Energiesteuer und ein modernes Energiegesetz, in dem es das Gebot des Energiesparens gibt, in dem es Anschluß- und Benutzungszwänge für Nah- und Fernwärmekonzepte gibt und vieles andere mehr. Ich halte auch die Vorstellung meiner Partei, ein 100.000 Dächer-Programm für Solaranlagen aufzulegen für richtig, weil das die Herstellungskosten in Richtung Wirtschaftlichkeit senkt. Hier sehe ich von der Bundesregierung nichts, außer dem Bekenntnis zur Kernkraft. Ich bin sicher: Die SPD wird eher mit den Energieversorgungsunternehmen aus der Kernenergie aussteigen als mit der Bonner Koalition.

Fragen: Marco Carini