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Hilfloses „Leichenzählszenario“

■ Umweltbehörde will endlich mit dem Katastrophenschutz-Gutachten für einen angenommenen Krümmel-GAU herausrücken Von Jürgen Oetting

Irgendwie hat man sich um ein paar hundert potentielle Tote verrechnet. Deshalb wurde das Katastrophenschutz-Gutachten zum Atomkraftwerk Krümmel bislang nicht von der Umweltbehörde veröffentlicht. Das jedenfalls wird von intimen Kennern der Vahrenholt- Behörde gemunkelt. Die offizielle Version lautet auch nicht anders – es gibt nämlich keine.

Keiner kann richtig erklären, warum das schon 1992 in Auftrag gegebene Gutachten immer noch der Öffentlichkeit vorenthalten wird. Immerhin ließ sich der Senat jetzt zu einer knappen Antwort auf eine Anfrage des GAL-Energiepolitikers Holger Matthews hinreißen: Das Gutachten könne in der Umweltbehörde eingesehen werden.

Aber nicht am gestrigen Freitag. Ein derartiges Ansinnen wurde vom Sprecher der Umweltbehörde, Kai Fabig, zurückgewiesen. Da müsse man sich schon etwas längerfristig anmelden, das gebiete die behördeninterne Personalplanung. Schließlich sei dem interessierten Leser des Gutachtens ein fachkundiger Mitarbeiter beizuordnen.

Damit Derartiges aber nicht erst Schule macht, will die Umweltbehörde nun doch in die Offensive gehen. „Nächste Woche“, so Fabig, soll eine Kurzfassung des Katastrophenschutzpapiers der Presse präsentiert werden. Ob dann auch genaue Zahlen aus dem „Leichenzählszenario“ (Behördenjargon) offengelegt werden, bleibt dahingestellt.

Das Gutachten des Freiburger Öko-Instituts blieb vielleicht auch deshalb so lange unsichtbar in den Schubladen der staatlichen Umweltschützer, weil es altbekannte Hilflosigkeit dokumentiert: Im Falle des „Größten Anzunehmenden Unfalles“ (GAU) im Atomkraftwerk Krümmel ist Hamburgs Bevölkerung nicht zu schützen. Das gesamte besiedelte Gebiet der Millionenstadt liegt im „ersten Kreis der Hölle“, in dem die radioaktive Strahlung voll und schnell wirkt. Es gäbe sofort eine große Anzahl von Toten, später noch mehr. Genaue Hochrechnungen ließen einem die letzte Akzeptanz der Atomkraft vergehen.

Den Gutachtern und behördlichen Umweltschützern gruselt vor einem spontanen Massenfluchtversuch der Hamburger fast ebenso wie vor einer Kernschmelze in Krümmel. Der gesamte Verkehr bräche innerhalb weniger Minuten zusammen. Daher rät Behördensprecher Fabig für den „ganz unwahrscheinlichen“ (durch Modernisierungsmaßnahmen in Krümmel sei die Gefahr noch einmal um Faktor 10 gesenkt worden) Fall eines Knalls in Krümmel: „Fenster und Türen schließen und im Haus bleiben. Keinesfalls sofort ins Auto steigen.“

Das erinnert sehr an eine Kampagne der Bundesregierung aus den 60er Jahren, in der für den Fall eines Atombombenangriffs geraten wurde: Augen zu (weil die Explosion echt leuchtet), auf den Boden werfen und die Aktentasche über den Kopf halten.

Mehr hat das geheimnisvolle Gutachten an praktischen Ratschlägen auch nicht zu bieten. Und darin liegt denn auch die Ursache für die behördliche Zurückhaltung. Man hatte sich von der Auftragsarbeit neue Möglichkeiten des Bevölkerungsschutzes erhofft – doch dann keine bekommen.

Oder aber – auch das ist denkbar – Fritz Vahrenholt wollte klammheimlich Argumente gegen die Atomkraft sammeln. Dann hat er das ganz schön raffiniert angestellt.

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