Wenn Blumen sprechen ...

■ Mit Rosen, Tulpen und Nelken ist kein Blumentopf zu gewinnen / ÖKO-TEST fand in den bunten Frühlingsboten jede Menge giftiger Stoffe

Die drei Kinder kamen mit dem gleichen Leiden zur Welt: einer Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalte. Auch ihre Mütter haben eine Gemeinsamkeit: Sie waren während ihrer Schwangerschaft in ein und demselben Betrieb beschäftigt, einem Gartencenter. Die Behörden in Nordrhein-Westfalen machte dies stutzig. Anfang 1994 leitete die Landesanstalt für Arbeitsschutz Ermittlungen ein, um herauszufinden, ob die Kinder durch Pestizide geschädigt wurden.

Sie wandte sich an das Berliner Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz (BgVV), das 17 verschiedene Gifte prüfte. Ergebnis: Keiner der Wirkstoffe sei als teratogen eingestuft, ließ Mitarbeiter Dr. Wolfgang Lingk wissen. Im Klartext: Von keinem der Pestizide ist bekannt, daß es Mißbildungen verursachen kann. Damit war der Fall für das BgVV abgeschlossen.

In Nordrhein-Westfalen bleibt man skeptisch. Dort hält man es für durchaus möglich, daß ein Wirkstoff verwendet wurde, den das BgVV nicht geprüft hat. Die Düsseldorfer haben die Fälle der drei Frauen zum Anlaß genommen, Gärtnereien verstärkt zu überwachen.

Mehr Kontrollen sind angebracht. Bei der Gewerkschaft Gartenbau, Landwirtschaft und Forsten (GGLV) beschweren sich immer wieder Mitarbeiter, daß sie im Gewächshaus arbeiten müssen, obwohl kurz vorher Gift gespritzt wurde. Zwar gibt es exakte Vorschriften, wie lange ein Gewächshaus nach dem Spritzen nicht betreten werden darf. Nur: Die Überwachungsämter sehen sich nicht in der Lage, die Einhaltung zu kontrollieren.

Die Behörden sind auch noch nie auf die Idee gekommen, giftige Rückstände in Schnittblumen zu messen. ÖKO-TEST guckte sich 20 Blumensträuße genauer an. Das bedenkliche Ergebnis: Keines der bunten Gebinde kann empfohlen werden. Besonders stark belastet waren Lilien, und zwar vor allem mit den Stoffen Iprodion und Procymidon. Sie sollen Schimmelpilzen den Garaus machen, sind aber auch für Menschen schädlich. Gefährlicher ist Chlorthalonil, das ÖKO-TEST in dunkelroten Nelken fand. Das Fungizid steht im Verdacht, Krebs zu erzeugen, schädigt Niere, Magen und Leber.

Da es für Schnittblumen weder Höchstmengen noch Richtwerte gibt, tun sich Wissenschaftler schwer, die tatsächliche Pestizidbelastung durch Blumen zu bewerten. Dr. Heinz-Dieter Winkeler vom Chemischen Untersuchungsamt in Bielefeld geht zwar davon aus, daß die VerbraucherInnen beim Schnuppern kein Gift einatmen. Allerdings, warnt er, „wird sich kein Mensch auf eine genaue Aussage einlassen, weil es bisher dazu noch keine Untersuchung gibt.“

„Viele FloristInnen verlassen den Beruf, vor allem wegen Hautallergien, aber auch wegen Atemwegserkrankungen“, berichtet Arnd Spahn von der Deutschen Gartenbau-Gewerkschaft. Bei den Berufskrankheiten rangieren Allergien an erster Stelle. „Sie treten verstärkt in den Wintermonaten auf.“ In dieser Zeit haben es Florist-Innen fast nur mit Schnittblumen aus dem Ausland zu tun. „Und dort“, so Spahn, „werden bekanntlich mehr Pestizide gespritzt.“

„Viele Frauen beschweren sich, daß sie im Giftregen arbeiten müssen“, bestätigt auch Frank Braßel von der Menschenrechtsorganisation FIAN die Mißstände in kolumbianischen Betrieben. Nach einer Studie der Universität Bogota leiden fast alle BlumenarbeiterInnen unter Ohnmachtsanfällen und beklagen Gesundheitsschäden.

Also Frühlingserwachen ohne Schnittblumen? Wer jetzt Tulpenzwiebeln in einen Blumentopf pflanzt, kann im Frühjahr sein buntes Wunder erleben, ohne chemischen Zusatz. ÖTM

Eine Broschüre „Umweltverträgliche Blumensträuße“ gibt es ab März bei der Verbraucher-Zentrale Hamburg, Große Bleichen 23, 20354 Hamburg, für vier Mark.