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SanssouciVorschlag

■ Die Zürcher Sturmbühne spielt Arnolt Bronnens „Vatermord“

Der pubertierende Sohn und sein Vater Foto: Thomas Aurin

„Ich will frei werden“, sagt Walter, der Gymnasiast mit dem brutalen Kleinbürgervater, mehr als einmal. Und darum geht es in Arnolt Bronnens drastischem Familiendrama, das ihm 1922 den Aufstieg in die obere Expressionistenetage verschaffte. Geschrieben hat er „Vatermord“ – der Titel nimmt das Ende vorweg – schon neun Jahre zuvor, mit zarten Achtzehn. Die Auflehnung gegen die Elterngeneration, die überall lauernde, verwirrende Sexualität und der Kampf um selbstbestimmte Identität sind die Generalthemen in diesem heftig pubertären Holzschnitt. An genauen psychologischen Entwicklungen liegt Bronnen kaum. Plakativ ist die Sprache, klar abgezirkelt der Rahmen des Experiments. Diese Menschen sagen, was sie fühlen, ungefiltert und ohne die Spur eines Geheimnisses.

Zu dieser grellen Eindeutigkeit steht die Zürcher Sturmbühne nur bedingt. Da werden einerseits die Sätze so zerhackt, daß sie das ohnehin offenliegende Seelenleben der Protagonisten nochmals fett unterstreichen. Die Bühnenaktion tut dies noch ein drittes Mal. Andererseits wird psychologisch herumgegründelt. Jan Ratschko spielt den pubertätsgeschüttelten Sohn Walter, der für den Vater als Projektionsfläche für alles herhalten muß, was er im Leben nicht erreicht hat. Ein Woyzeck, der am Schluß allerdings nicht das Objekt, sondern das Subjekt (also den Richtigen) umbringt. Eine stimmige schauspielerische Leistung, allerdings im falschen Kontext.

Bronnen malt seinen Familienhorror ohne jeden Zwischenton, ganz auf Oberflächenwirkung bedacht. Im Spiel das Gegenteil zu behaupten macht die Figuren eher lächerlich denn glaubwürdig. Schwierigkeiten hat das Ensemble auch mit der Umsetzung der allgegenwärtigen Gewalt. Wenn der Vater den Sohn schlägt, was oft vorkommt, wird das nur angedeutet. Das bedroht. Doch die fast durchgehende Brüllerei hebt die Beklemmung wieder auf. Das Geschehen auf der aschgrauen Betonbühne bleibt im Niemandsland. Bronnen ohne Distanz – das entschlüsselt weder die mentale Verfassung der Zwischenkriegsgeneration, noch schlägt es eine exemplarische Brücke zum Heute. Die kaputte Patriarchatsgesellschaft, ein dröhnend schweißiges Vakuum. Gerd Hartmann

„Vatermord“. Bis 23.12. (nicht 19. und 20.12.), 20 Uhr, Theater Zerbrochene Fenster, Fidicinstraße 3, Kreuzberg

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