Und immer droht der Pornofilm

Sich an Daily Soaps oder ans Boulevardtheater vergeuden? Putzen oder stempeln gehen? Oder gar Verantwortung übernehmen in der freien Szene? Von den Schwierigkeiten, die SchauspielerInnen haben, die schauspielen wollen  ■ Von Kolja Mensing

„Arbeitslos“ ist ein Wort, mit dem man SchauspielerInnen nicht kommen darf: Wer nicht an einer Bühne in Lohn und Brot steht, ist „auf der Suche nach einem Engagement“. Klingt besser, meint aber das gleiche: keinen Job. Jedes Jahr entlassen die Schauspielschulen AbsolventInnen, die den Sprung in ein festes Engagement nicht schaffen oder deren Anfängervertrag nach zwei Jahren vom Theater nicht verlängert wird. Bewerbungen bleiben unbeantwortet, die Reisen von Vorsprechtermin zu Vorsprechtermin erfolglos – aus der Traum von den Brettern, die die Welt bedeuten?

Sylvia hat bis zum vergangenen Juli eine private Berliner Schauspielschule besucht – nicht die beste Startchance. Staatliche Ausbildungsstätten wie die Berliner Ernst-Busch-Schule haben einen besseren Ruf. So stand sie im Sommer nach dreijähriger Ausbildung zwar mit einem Diplom, aber ohne Aussicht auf einen Vertrag da. „Glücklicherweise hatte ich seitdem noch keine wirkliche Durststrecke zu überstehen“, sagt die 23jährige, die sich nun mit Gastverträgen über Wasser hält. „Das nimmt einem zwar das Gefühl, arbeitslos zu sein, aber künstlerisch gesehen waren zum Beispiel meine beiden Gastengagements an Boulevardtheatern einfach peinlich.“

Und lukrativ ist so etwas auch nicht: Auf längere Zeit kann ein Schauspieler von Stückverträgen nicht leben. Nur 2.500 Mark brutto ist die Mindestpauschale für einen Probenmonat. Pro Vorstellung gibt es dann noch eine Abendgage von etwa 250 Mark – bei vier oder fünf Auftritten im Monat liegt der Gastschauspieler damit knapp über dem Bafög-Satz.

Doch Sylvia ist nur eine von bundesweit 205 AnfängerInnen im Schauspielberuf, der die Zentrale Bühnen-, Fernseh- und Filmvermittlung (ZBF) in der vergangenen Spielzeit keinen festen Vertrag vermitteln konnte. Wer noch kein Engagement hatte, spricht bei der ZBF vor, die einen Beurteilungsbogen anlegt und eine Vermittlung versucht.

327 BerufseinsteigerInnen registrierte die zur Bundesanstalt für Arbeit gehörende ZBF in der Spielzeit 1994/95, 122 davon konnten vermittelt werden. Das bedeutet: Immerhin 63 Prozent der bei der ZBF gemeldeten JungschauspielerInnen waren nach ihrer Ausbildung arbeitslos.

Anna ist, wie viele ihrer KollegInnen, auf die ZBF nicht gut zu sprechen: Nachdem sie vier Jahre an einem Stadttheater gearbeitet hatte, begann sie mit der Suche nach einem neuen Engagement. Der zuständige ZBF-Agent sah sich Vorstellungen an, machte Versprechungen – doch zu einer Vermittlung kam es nicht. Dennoch kündigte Anna schließlich: „Künstlerisch kam ich an meinem Theater nicht weiter – da wollte ich mich lieber unbelastet nach etwas Neuem umschauen.“

Doch Erfolg hat Anna noch nicht gehabt, obwohl sie bereits seit Beginn des Sommers auf der Suche nach einem Engagement ist. Zunächst erschien ihr ein Job beim Fernsehen als annehmbare Alternative zum Routinebetrieb des subventionierten Theaters. Einen Auftritt in einer Daily Soap wie „Gute Zeiten schlechte Zeiten“ zu bekommen ist kein unüberwindliches Problem, da der Bedarf an neuen Gesichtern mit der Zahl der täglich gesendeten Serien stark gestiegen ist.

Nur stellt sich für die jungen SchauspielerInnen die gleiche Gewissensfrage wie bei einem Engagement am Boulevardtheater: Schadet ein kurzer Dreh bei einem Privatsender der Laufbahn nicht mehr, als daß er nützt? Anna ist da pragmatisch: „Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem einem das Geld ausgeht. Dann kann man nicht mehr abwägen“, sagt sie und erzählt von einem befreundeten Schauspieler, der zu guter Letzt sogar ein Engagement für einen Pornofilm in Erwägung zog.

Die Arbeit für Fernsehproduktionen und Werbespots ist für unbekannte TheaterschauspielerInnen reiner Broterwerb – langweilig und anspruchslos. Die künstlerisch interessantere Alternative wäre in der freien Theaterszene zu suchen, doch da gibt es kaum Geld zu verdienen. Versuchen arbeitslose Idealisten, die aus dem subventionierten Theater kommen, dennoch den Einstieg in die freie Szene, müssen sie sich erst einmal mit dem Vorurteil des „Staatsschauspielers“ auseinandersetzen, das ihnen anhaftet.

„Wir verlangen künstlerische Mitverantwortung und auch die Bereitschaft, einmal beim Bühnenaufbau mitzuhelfen“, sagt Gerd Hunger vom Berliner Selbsthilfeprojekt der Off-Theater und -Theatergruppen (SPOTT). „Doch das sind Qualitäten, die ein Schauspieler am subventionierten Theater nicht vermittelt bekommt.“

Ein weiteres Problem arbeitsloser TheaterkünstlerInnen ist, daß sie oft auf sich selbst gestellt sind: Die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger (GDBA) fühlt sich als Gewerkschaft nur für ihre arbeitenden Mitglieder zuständig, und an den Schauspielschulen gibt es Rückmeldungen ausschließlich in Form von Erfolgsmeldungen. Nur wer es geschafft hat, wird später noch wahrgenommen.

Sylvia muß sich jedesmal aufs Neue überwinden, wenn andere SchauspielerInnen die Standardfrage nach dem festen Engagement stellen: „Es ist okay, solange noch ein Gelegenheitsjob in Aussicht ist. Doch der Moment, an dem nichts mehr da ist, auf das ich warten kann – vor dem habe ich Angst.“