Wand und Boden
: Gelb/Lila ergibt Neon-Pop

■ Kunst in Berlin jetzt: Renard, McCollum, Utermöhlen, Förster, Kellndorfer, Scrima und Kicherer

Dem kleinen Kabinett neben dem Eingang entsprechend sind die 30 Collagen von Thierry Renard bei Franck + Schulte Kabinettstückchen. In penibler, sauberer Klebearbeit finden sich durchsichtige Halbbrillen und Schmetterlinge zur surrealistischen „Navigation à vue“ zusammen; Richelieus Büste trägt einen flotten Lederblouson: „Le mauvais garçon“. Meist sind es berühmte Gemälde, die Renard durch den Kakao zieht. Die Liebhaber seiner Collagen dürften sich unter jenen finden, die stolz darauf sind, im Magazin der Süddeutschen anhand von drei Quadratzentimetern ein ganzes Gemälde zu erraten.

Die drei Quadratzentimeter Gemälde, die Allan McCollum – ins Großformat aufgeblasen – ausstellt, könnten als mokanter Kommentar zu solchem Tun der Kunstkenner gelten. Der New Yorker Künstler fotografiert Bilder, die als Dekoration im Hintergrund von Fernsehaufzeichnungen oder Pressefotos zu sehen sind, und vergrößert sie anschließend. Seine „Perpetual Photos“ (erstmals 1984 gezeigt) stürzen sich gewissermaßen in den Abgrund der Reproduktion. Das Raster wird immer größer, gröber, löchriger und läßt immer weniger vom Reproduzierten erkennen, das eh schon reproduzierte Reproduktion ist. Und auch seine Reproduktionen reproduzierte McCollum noch einmal für die Serie der jetzigen Galerieschau. Die Kunstgeschichte läßt sich dennoch nicht ganz austreiben: Der Informationsverlust durch Rauschen rückt seine Serie, die nur noch aus Korn zu bestehen scheint, in merkwürdige Nähe zum ersten Foto, das wir kennen, dem Blick aus dem Fenster von Nicéphore Niepce.

Bis 19.1., Mo.–Fr. 11–18, Sa. 11–15 Uhr, Mommsenstraße 56

Auch Nikolaus Utermöhlen arbeitet bei „2 Freunde“ im Studio III des Künstlerhauses Bethanien mit Fotovorlagen. Die eine zeigt den Akt eines Jungen, den Utermöhlen auf zwei Keilrahmen verteilte. Gesicht und Oberkörper sind getrennt vom verblüffend männlichen Geschlecht. Zwei etwas dissonante Freunde, die, viermal verschieden eingefärbt, zwischen der Serie eines zweiten Diptychons auftauchen. Für diese Serie – einander zugeordnete Pin-ups zweier junger Männer – programmierte Utermöhlen den Laserkopierer so, daß die Diptychen nur noch je zwei Komplementärfarben aufweisen, die er durch weitere Farbaufträge verstärkt. Rot/Grün, Blau/Orange und Gelb/Lila ergeben fluoreszierenden Neon-Pop, auf eine quadratische Leinwand montiert. Nicht das Raster der fotografischen Reproduktion wie bei McCollum, sondern die Struktur der Leinwand schlägt durch die rückwärtig abgeriebenen und ausgedünnten Kopien. Utermöhlens Bilder von Bildern erscheinen malerischer, als sie sind. Der Mann am Kind verwirbelt dabei in der Erinnerung an LSD-gesättigte Plattencover der 70er.

Bis 30.12., Di.–So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2

Utermöhlens trügerische Rückführung der Reproduktion ins Feld der Malerei könnte die These Thomas Wulffens stützen. Der Kurator der Ortsbegehung 1 des Neuen Berliner Kunstvereins meint, daß die Malerei inzwischen vor allem in ihrer Medienfunktion wahrgenommen wird. Diese Funktion läßt sich, so Wulffen, in ganz unterschiedlichen Formen und Materialien aufspüren, re- und dekonstruieren. Eine gewagte These, die darauf hinausläuft, daß überall dort, wo man das Bild eines Gemäldes zu sehen vermag, auch eines drin ist. Wenn Gunda Förster rot sieht – was sie bekanntlich gern tut – und dementsprechend den Fußboden des NBK mit einem roten Teppichboden auslegt, dann borgt sich also der Boden seine zweidimensionale Fläche und seine rote Farbe vom Gemälde, das seine museale Aura unter den Fußtritten der Besucher verliert. „Most of the time I wish I were somewhere else“ lautet Andrea Scrimas Titel gegenüber den goldenen Lettern an der weißen Wand. Ihre Arbeit ist die literarische Anmutung, uns mit wenigen Signalwörtern wie Straße oder Ecke dazu zu bringen, das Bild ihres/unseres „somewhere else“ zu sehen. Veronika Kellndorfer projiziert das traditionellste Motiv der Malerei, das Fenster zur Welt, auf die breite Glasfront des NBK. Es wiederholt, was durch die Scheiben zu ahnen ist: parkende Autos in der Straße. Sie deutete aber auch an, wer „Malerei als Medium“ im Sinne Wulffens zuerst für sich entdeckte: Die Architektur-Avantgarde, die das hohe schmale Fenster für die frische Luft und den Kontakt nach außen durch das Querformat des unbeweglichen Panoramafensters ersetzte, das tatsächlich nur noch ein Bild ist.

Bis 14.1., Di.–Sa. 12–19 Uhr, Chausseestraße 128-129

Zwischen den parkenden Autos auf der Straße bewegen sich jene Frauen, denen Beate Kicherer in ganz selbstverständlichem malerischem Gestus nachspürt: Die Frauen, die rund ums Einstein anschaffen gehen. in ihren Papierarbeiten in der GG-Galerie in Köpenick transformiert Kicherer die Ästhetik der Nutten, die sie in die Ästhetik ihrer Arbeit transformiert. Ihr Blickwinkel zielt nicht auf die Sozialreportage, sondern auf den Stil, um den wir die Huren alle beneiden und den wir uns nur leisten können, wenn Gianni Versace uns anzieht. Ihre Hochformate unterstreichen das „High-heeled-Tit- Wig“-Erscheinungsbild der Frauen, und sie profitieren davon. Nur in diesem Hochformat findet sich die gefährliche Spur des Authentischen.

Bis 19.1., Di.–Fr. 12–18, So. 14–18 Uhr, Grünstraße 16, Köpenick Brigitte Werneburg

Beate Kicherer: „6/1994“ Abb.: Galerie