Und dann kommt nichts mehr

Martin König hat seinem schwerkranken Freund geholfen, Selbstmord zu begehen – Schuldgefühle hat er keine, obwohl Sterbehilfe strafbar ist  ■ Von Thekla Dannenberg

Martin König* meint, den Tod gut zu kennen. Der vierunddreißigjährige Photograph hat schon viele Freunde verloren, die nicht wesentlich älter waren als er. Die einen starben langsam und qualvoll an Krebs. Ein guter Freund hat sich das Leben genommen. Vor zwei Jahren fühlte er sich dem Tod auch schon nahe gekommen, als bei ihm ein Krebstumor im Magen entdeckt wurde und über die Heilungschancen Unklarheit herrschte.

In dieser Zeit hat Martin König erlebt, wie sich Krebskranke trotz größter Schmerzen an das Leben klammerten und bis zuletzt auf Spontanheilungen hofften. Er hat gehört, wie Ärzte ihren Patienten sagen mußten: „Sterben Sie allein, wir können Ihnen nicht helfen.“ Damals hatte er sich entschieden, „lieber in Würde zu sterben, als an hundert Geräte angeschlossen“. Martin Königs Tumor konnte beseitigt werden, doch seitdem glaubt er, daß es stimmt was Neil Young vor langer Zeit sang: „It's better to burn out than to fade away.“

Die Freiheit, über seinen Tod selbst zu bestimmen, räumt er jedem Menschen ein. Auch seinem Freund Thomas Schwarz, der sich vor einem halben Jahr selbst erschossen hat. Martin hat ihm dafür die Pistole besorgt. Der vierzigjährige Bibliothekar litt in spätem Stadium an Lungenkrebs, war auf vierzig Kilogramm Körpergewicht abgemagert und konnte nur noch auf Krücken laufen. Der schwerkranke Thomas Schwarz ließ sich von einem Freund über die Sterbehilfe Tabletten besorgen, von einem anderen eine große Dosis Heroin und von Martin eben die Pistole.

„Wir wußten nicht, ob er die Mittel wirklich gebrauchen würde, wir haben ihm auch nicht zugeredet, aber wir sind davon ausgegangen“, gibt Martin König zu. Hin und her gerissen muß Thomas Schwarz in der Ambivalenz zwischen nicht leben wollen und nicht sterben können bis zuletzt gewesen sein. Kurz vor seinem Selbstmord hatte er noch eine Misteltherapie begonnen.

Das Standardwerk der Schulpsychologie, das „Handbuch der sozialen Arbeit“, interpretiert eine solche Form der Sterbehilfe so: „Das Zugeständnis der Freiheit des Menschen zu sterben, wann er will, ist sicher unbewußt nicht selten das Zugeständnis der Freiheit der Lebenden, sich der Last eines Sterbenden entledigen zu dürfen.“ Die aktive Unterstützung oder das passive Gewährenlassen eines Selbstmordes sei ein aggressiver Akt, einem narzißtischen Konflikt entsprungen.

Einige halten Sterbehilfe schlichtweg für Euthanasie. Juristisch wird sie schwer verfolgt. „Ich mußte zwar kriminell werden, damit Thomas sterben konnte, wie er wollte“, meint Martin König, „aber mir geht es jetzt doch nicht besser, wo er tot ist.“ Auf die Frage, ob er Schuldgefühle mit sich trage, antwortet Martin mit einem klaren und entschiedenen „Nein“. Zu gut könne er die Entscheidung verstehen. Warum Thomas Schwarz letzlich die Pistole benutzt hat, könne er nicht sagen. Tabletten seien eben recht unsicher, und für einen goldenen Schuß brauche man gute Venen.

Zugeredet habe er ihm nie, eher seinem Freund die Illusionen über den Tod nehmen wollen. Der habe oft über das Leben nach dem Tod oder über die Schönheit des Übergangs vom Leben zum Tod gesprochen. „Da habe ich ihm gesagt, daß er all das vergessen kann. Dein Körper schüttet noch ein paar Endorphine aus, und dann kommt nichts mehr.“

Martin König meint, er habe Thomas Schwarz im Leben und im Sterben nicht allein gelassen. „Ich fand es mutig, ihm nicht die Hilfe zu verweigern, nach der er verlangte.“

* Alle Namen geändert